Ausland18. Juli 2024

Syrien in einer »Übergangsphase«

Parlamentswahlen in Syrien. Ergebnisse werden am Donnerstag erwartet

von Karin Leukefeld, Beirut

Am 15. Juli fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. 1.516 Kandidaten und Kandidatinnen bewarben sich um 250 Parlamentssitze. Es handelte sich um die 4. Legislaturperiode des Parlaments, das seinen Sitz in Damaskus hat. Landesweit waren 8.151 Wahlzentren eingerichtet worden, die von 7 Uhr morgens bis 19 Uhr abends geöffnet waren.

Unmittelbar nach Schließung der Wahllokale begann unter richterlicher Kontrolle die Auszählung. Kandidaten und Kandidatinnen oder deren Vertreter konnten den Zählvorgang ebenso beobachten, wie Journalisten. An manchen Wahllokalen in der syrischen Hauptstadt waren Bildschirme installiert, auf denen man die Anzahl der abgegebenen Stimmen für die jeweiligen Kandidaten verfolgen konnte.

Wahlboykott in Idlib und im Nordosten Syriens

Die kurdisch geführten »Syrischen Demokratischen Kräfte« (SDK) im Nordosten Syriens lehnten die Wahlen ebenso ab, wie Terrororganisation Hay’at Tahrir al Scham (HTS), ein Al Qaida-Ableger, der Teile der nordwestlichen syrischen Provinz Idlib kontrolliert. Während die Bevölkerung sowohl im Nordosten als auch im Nordwesten nicht gefragt wurde, ob sie sich an den Wahlen beteiligen wolle oder nicht, war nach Angaben der syrischen Wahlkommission im Rest des Landes die Wahlbeteiligung hoch. Syrische Medien berichteten auch aus verschiedenen Provinzen des Landes über die Wahlen. Der Boykott in Idlib und im Nordosten des Landes kam allerdings nicht zur Sprache.

Die kurdische Nachrichtenagentur ANF berichtete über den Boykott der Wahlen. Der »Syrische Demokratische Rat« habe »die internationale Gemeinschaft« aufgefordert, »am Recht der Syrer festzuhalten, über ihre Zukunft in freien und fairen Wahlen selber zu entscheiden«, hieß es unter Berufung auf eine Erklärung des »Rates«. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, den Wahlen fernzubleiben. Der einzige Weg für eine umfassende politische Lösung in Syrien sei die Umsetzung der UNO-Sicherheitsratsresolution 2254. Ein innersyrischer Dialog sei dafür wichtig, zu dem man bereit sei. Nur so könnten die Interessen aller Syrer und deren Hoffnungen erfüllt werden.

Auf dem Weg dorthin seien allerdings Bedingungen zu erfüllen, hieß es weiter in der Erklärung: Freilassung der Gefangenen, sichere und freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge und Inlandsvertriebenen in ihre Wohngebiete, ein Ende jeder Form von Unterdrückung, freie politische Betätigung und Medienberichterstattung und ein Ende »aller Arten von Besatzung syrischen Territoriums«.

Das Hohe Wahlkomitee teilte am Mittwoch mit, in einigen Wahllokalen in der Stadt Aleppo und ihrer Umgebung müßten die Wahlen wiederholt werden. Daher verzögere sich die Bekanntgabe des Wahlergebnisses voraussichtlich bis Donnerstag. Gründe wurden nicht genannt. Auch in den Provinzen Deraa, Latakia und Hama seien Nachwahlen in einigen Wahllokalen erforderlich. Zugelassen seien jeweils ausschließlich die Wähler, die bereits am Montag gewählt hatten.

Assad: Das Parlament muß die Regierung kontrollieren

Anders als bei vorherigen Wahlen kam der syrische Präsident Assad in diesem Jahr allein zum Wahllokal. Seine Frau Asma, die erneut an Krebs erkrankt ist, konnte ihren Mann nicht begleiten. Vor Medienvertretern nahm sich Assad außergewöhnlich viel Zeit, um Fragen zu den Wahlen und der Rolle des Parlaments zu äußern. Auch Fragen zu Berichten, wonach es zu einer Wiederannäherung zwischen Syrien und der Türkei kommen könnte, beantwortete der Präsident.

Syrien befinde sich in einer »Übergangsphase«, in der es verschiedene Perspektiven auf die Rolle des Staates und seine Institutionen gebe, so Assad. Aufgabe des Parlaments sei nicht nur, die Arbeit der Regierung zu beobachten, sondern auch, die verschiedenen Perspektiven zusammenzubringen. Es handele sich um die höchste Institution eines Staates, die auf der Verfassung, dem Recht und der Umsetzung von Regierungsbeschlüssen basiere. Verfassung und Recht seien klar geregelt, auch wenn er »Veränderungen« nicht ausschließen wolle, wurde Assad in Medien zitiert.

Allerdings sei das größte Problem die Umsetzung durch das Parlament. Als »syrischer Bürger« sei es für ihn persönlich vor allem wichtig, daß das Parlament die Politik kontrolliere. Die Übergangszeit sei kein Spaziergang, die Umstände in Syrien seien schwierig, fuhr Assad fort. Ohne »nationalen Dialog« gehe es nicht. Dafür werde das Parlament gebraucht, das den Prozeß des Dialogs organisieren könne.

Hinsichtlich möglicher Veränderungen gegenüber der Türkei erklärte Assad, er begrüße es, wenn sich die Beziehungen wieder verbessern könnten. Das sei eine »natürliche Angelegenheit«. »Kein Staat will Probleme mit seinen Nachbarn haben«, allerdings werde man keinen Dialog mit der Türkei beginnen, ohne zuvor feste Regeln bestimmt zu haben. Es gehe dabei ja nicht um »ein Treffen von zwei Präsidenten«, sondern um die Wiederherstellung bilateraler Beziehungen in vielen Bereichen. Sollte es ein Treffen geben, werde das angekündigt. Voraussetzung sei ein politischer Wille.

»Besatzung, Terror und die Verletzung des internationalen Rechts« müßten aufhören, um normale Beziehungen wieder herzustellen, betonte Assad. Die Souveränität Syriens müsse von den Nachbarn und auch von nicht benachbarten Staaten respektiert werden.

Unruhe in Idlib, Proteste in Sweida

In Teilen der von HTS und der von der Türkei finanzierten »Nationalen Syrischen Armee« in Idlib und im Norden von Aleppo kommt es derweil seit Tagen zu Unruhen, Entführungen und tödlichen Auseinandersetzungen. Die Ankündigung einer türkisch-syrischen Wiederannäherung hat Unruhe unter den bewaffneten Regierungsgegnern und Proteste gegen die Türkei ausgelöst.

Auch in Sweida soll es nach Berichten von Beobachtern zu Kundgebungen gegen die Regierung gekommen sein. In der mehrheitlich von Drusen und Christen bewohnten südlichen Provinz Sweida finden seit Herbst 2023 Proteste gegen die enormen Preiserhöhungen und die hohe Inflation statt. Nach zahllosen Verhandlungen, Gesprächen und Vereinbarungen werden die Kundgebungen von den örtlichen Behörden geduldet.