Profiteure des Völkermords
Nicaragua hat Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe verklagt
Am 8. und 9. April verhandelt der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Auf der Anklagebank: Deutschland. In einem Eilverfahren beschuldigt Nicaragua die Bundesrepublik der Beihilfe zum Völkermord der israelischen Armee im Gazastreifen.
Anlaß der Klage ist die politische, finanzielle und vor allem militärische Unterstützung Israels während der seit dem 7. Oktober 2023 laufenden Angriffe gegen die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen. Bis Ende April ist mit einer schnellen Entscheidung zu rechnen, da der IGH dem Verfahren Vorrang vor bereits anhängigen anderen Fällen gegeben hat.
Wie aus den Prozeßunterlagen zu ersehen ist, hatte die Regierung von Nicaragua am 2. Februar dem Auswärtigen Amt in Berlin eine Protestnote zukommen lassen, in der die Forderung nach einem sofortigen Stopp deutscher Waffenlieferungen an Israel erhoben wurde. Regierungsamtliche Stellen in Deutschland hüllten sich zunächst in Schweigen. Eine konkrete Nachfrage in der Bundespressekonferenz vom 7. Februar führte zur eher ausweichenden Antwort, man habe »Kenntnis von einer Pressemitteilung«.
Eine Woche später bestätigte die Ständige Mission der Bundesrepublik bei der UNO den Eingang der Note. Die Bundesregierung sah offensichtlich keine Notwendigkeit, sich näher mit dem Inhalt des Schreibens auseinanderzusetzen oder gar eine Gegendarstellung nach Managua zu übersenden. Nicaragua reichte deshalb konsequenterweise am 1. März über seinen Botschafter in den Niederlanden, Carlos J. Argüello Gómez, die 43-seitige Klage beim Internationalen Gerichtshof ein.
Im Wege einer einstweiligen Anordnung soll Deutschland verpflichtet werden, sofort seine militärische Hilfe zu suspendieren, »die unter Verstoß gegen das Völkermord-Übereinkommen, das humanitäre Völkerrecht und andere zwingende Normen des allgemeinen Völkerrechts« geleistet wird. Die von der Bundesregierung am 17. Februar gestoppten Zahlungen an die Hilfsagentur der UNO für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) sollen wieder aufgenommen werden.
Der Kernvorwurf Nicaraguas bezieht sich auf den florierenden Waffenhandel Deutschlands seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Im Jahr 2023 gingen an die Adresse Israels Rüstungslieferungen im Wert von 326,5 Millionen Euro, fast zehnmal soviel wie im Vorjahr. Als Beweismittel werden durchweg deutsche Quellen aufgeführt, wie das Sitzungsprotokoll des Bundestags vom 21. Februar: »Seit dem 1. Januar 2024 zum aktuellen Stichtag wurden Einzelgenehmigungen für die endgültige Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Israel im Gesamtwert von 9.003.676 Euro erteilt. Hiervon entfallen 32.449 Euro auf Kriegswaffen und 8.971.227 Euro auf sonstige Rüstungsgüter. Für den Monat Januar 2024 wurden Einzelgenehmigungen für die endgültige Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Israel im Wert von 8.416.738 Euro erteilt (davon Kriegswaffen in Höhe von 30.449 Euro und sonstige Rüstungsgüter in Höhe von 8.386.289 Euro).«
Der Klageschrift Nicaraguas geht es nicht nur um die Waffenlieferungen. Um die These von der deutschen Gehilfenschaft zu belegen, verwendet die Klage viel Platz auf den gerichtstauglichen Nachweis, daß die deutschen Stellen vorsätzlich handelten, in Kenntnis des Verwendungszwecks der Waffen im Gaza-Krieg. Neben zahlreich verlinkten Äußerungen deutscher Regierungspolitiker in den bürgerlichen Medien fehlen auch etliche Hinweise auf den konsequenten Gebrauch der deutschen »Staatsräson« nicht.
Nicaragua stützt seine Klageberechtigung auf zwei Aspekte: Beide Staaten sind Unterzeichner der »Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords« vom 9. Dezember 1948 und damit zum Streit über »Verantwortlichkeiten« befugt. Zusätzlich verleiht Art. 36 Abs. 2 des IGH-Statuts Unterzeichnerstaaten die Befugnis, über »jede Frage des Völkerrechts« in Den Haag ein Verfahren anhängig zu machen. Außerdem kann Nicaragua darauf verweisen, daß Israel als Begünstigter der deutschen Waffenhilfe bereits von Südafrika in einem bereits laufenden Verfahren verklagt worden ist.
Einwendungen gegen die Zulässigkeit des Verfahrens werden der deutschen Seite aus einem anderen Grund ohnehin auf die Füße fallen: In einem Anfall von Allzuständigkeit für jeden Völkerrechtsverstoß auf diesem Globus trat Deutschland im September letzten Jahres dem Genozid-Verfahren Gambias gegen Myanmar bei. In der Presseerklärung hieß es damals vollmundig: »Völkermord geht uns alle an, wo auch immer auf der Welt ein solcher geschieht.« Was ist, wenn die Richter des IGH das deutsche Außenministerium jetzt beim Wort nehmen?