Ausland17. Juni 2021

Kritik an deutsch-namibischem »Versöhnungsabkommen«:

Berlin verzeiht sich Völkermord

Valentin Zill

Über 110 Jahre nach dem Massenmord deutscher Kolonialtruppen an Herero und Nama in Namibia, damals »Deutsch-Südwestafrika«, möchte sich die Regierung in Berlin endlich für den Völkermord entschuldigen, der als erster Genozid des 20. Jahrhunderts gilt. Nach fast sechs Jahre dauernden Verhandlungen schloß die deutsche Regierung am 28. Mai ein Aussöhnungsabkommen mit der Regierung Namibias.

Künftig wolle man die Greueltaten »ohne Schonung und Beschönigung benennen«, äußerte sich der deutsche Außenminister Heiko Maas, beeilte sich aber einzuschränken: »Rechtliche Ansprüche auf Entschädigung lassen sich daraus nicht ableiten.« Kernpunkte des Abkommens sind neben der Bitte um Vergebung die Anerkennung der Verbrechen an Herero und Nama als Völkermord »aus heutiger Sicht« sowie Entschädigungszahlungen. So nennt sie das Auswärtige Amt allerdings nicht, es spricht statt dessen unverbindlich von einer »Geste der Anerkennung des unermeßlichen Leids«.

1,1 Milliarden Euro überweist die deutsche Regierung an den finanziell klammen Staat Namibia – in den nächsten drei Jahrzehnten. Dieser Betrag ist nur ein Bruchteil dessen, was Opferverbände und traditionelle Autoritäten der Herero und Nama gefordert hatten. Die sprechen von einer »schockierenden Offenbarung«, nennen den Betrag inakzeptabel und einen »Affront gegen unsere Existenz«. Sie kündigten Massenproteste gegen einen Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Windhoek an, der später in diesem Jahr stattfinden soll.

Laut dem Berliner Auswärtigen Amt solle das Geld »auf Wunsch der namibischen Seite« für die Bereiche Landreform, Landwirtschaft, ländliche Infrastruktur und Berufsbildung ausgegeben werden. Die meisten Herero und Nama leben in Folge ihrer Vertreibung bis heute landlos. Rund 70 Prozent des Landes gehören immer noch weißen Farmern. An diesem Unrecht wird der Kleckerbetrag aus Berlin nichts ändern.

Erbost sind die Vertreter der Opfer vor allem auch, weil sie selbst aus den jahrelangen Verhandlungen herausgehalten worden waren. »Das war eine Entscheidung zwischen der deutschen und der namibischen Regierung. Offizielle und von der namibischen Regierung anerkannte Vertreter der Herero und der Nama wurden in die wichtigen Prozesse und Verhandlungen nicht miteinbezogen«, ärgerte sich Esther Muinjangue, Präsidentin des Ovaherero Genocide Committee, Parteipräsidentin der NUDO (National Unity Democratic Organisation) und Stellvertretende Gesundheitsministerin Namibias. »Was für eine Versöhnung soll das sein, wenn die Betroffenen keine Rolle darin spielen?«

Der deutsche Historiker Prof. Dr. Jürgen Zimmerer teilt ihre Kritik und bemängelt, die Verhandlungen seien nicht öffentlich geführt worden, der ganze Prozeß intransparent. Beide vermuten, die deutsche Regierung weigere sich, eine rechtliche Verpflichtung zur Wiedergutmachung einzuräumen, um einen Präzedenzfall zu verhindern. »Die Tatsache, daß die Deutschen keine rechtliche Verantwortung übernehmen wollen, zeigt, daß sie nicht bereit sind, ihre Taten wirklich anzuerkennen. Denn dann könnten womöglich auch andere ehemalige deutsche Kolonien einen Anspruch auf Reparationen erheben«, stellte Muinjangue fest.

Historiker schätzen, daß die kaiserlich-deutschen Kolonialisten zwischen 1904 und 1908 – nach dem Vernichtungsbefehl Lothar von Trothas, des Oberbefehlshabers der Kolonie – 65.000 von damals 80.000 Herero und mindestens 10.000 von damals 20.000 Nama umbrachten. Das Vorgehen war bestialisch. Die Soldaten trieben ganze Gemeinden in die Wüste und hielten sie mit Gewalt von Wasserstellen fern. Gefangene in Konzentrationslagern bekamen kaum zu essen und wurden mit harter Arbeit zu Tode geschunden – oder gleich ermordet.

Als Gipfel der Demütigung mußten Insassen mit kochendem Wasser und Glasscherben Haut und Fleisch von den Schädeln ihrer ermordeten Familienmitglieder kratzen. Diese Schädel wurden dann nach Deutschland gebracht, wo sie rassistischen Pseudoforschungen dienten, oder zu makabren Souvenirs der Kolonialsoldaten verkamen. Bis heute sollen mehr als 7.000 solcher Schädel in deutschen Museen und Sammlungen liegen. Während die Opfer noch nicht einmal begraben sind, hat Berlin sich seine Greueltaten schon verziehen.