Eine neue »Weltregierung«?
Mit einer Woche Verspätung landete am Freitag der demnächst aus dem Amt scheidende Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutschland. Aus dem ursprünglich geplanten Staatsbesuch mit Ehrengarde und Tschingderassassa ist nur eine simple »Arbeitsvisite« geworden, Biden traf sich mit dem deutschen Bundespräsidenten, der ihm artig die höchste staatliche Auszeichnung der Bundesrepublik überreichte, und dann zu Gesprächen mit Bundeskanzler Scholz. Für die nächsten Stunden sollte die traute Runde noch erweitert werden, mit dem französischen Präsidenten Macron und dem britischen Premierminister Starmer.
Über den wahrscheinlichen Inhalt der Gespräche der vier Herren wurde im Vorfeld viel gemutmaßt, allerdings war klar, daß die verfahrene Lage in der Ukraine und im Nahen Osten ganz oben auf der Agenda stand. Bleibt die Frage, warum ausgerechnet diese vier Männer zwei der im Moment drängendsten Probleme zu lösen in der Lage sein sollen. Sicher geht jeder von ihnen davon aus, ein bedeutender Teil einer neuen »Weltregierung« zu sein, doch es lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen.
Der greise USA-Präsident hatte erst vor wenigen Wochen auf eine neue Kandidatur verzichten müssen, aus allzu offensichtlichen Gründen. Er wird noch maximal mit zum 6. Januar im Amt sein, dann übernimmt entweder seine designierte Nachfolgerin Kamala Harris oder sein Vorgänger Donald Trump den Schreibtisch im Oval Office und den Koffer mit den Atombomben-Codes. In beiden Fällen ist heute nicht klar, wie sich die offizielle Haltung der USA zu den Kriegen in Europa und in Nahost entwickeln wird.
Olaf Scholz ist ebenfalls ein Kanzler auf Abruf. Sollte seine Koalition mit den Grünen und den Liberalen nicht vorher zerbrechen, wird er aller Wahrscheinlichkeit nach die Wahlen im nächsten Oktober nicht überstehen, Keir Starmer hat Number 10 Downing Street erst vor wenigen Wiochen übernommen, sieht sich allerdings schon jetzt innen- und außenpolitisch mehr Problemen gegenüber als die ganze Reihe seiner in den letzten Jahren gescheiterten Vorgänger. Und Herr Macron hat zu Hause mehr Probleme, als er zu bewältigen imstande ist, allein die bevorstehenden Debatten zum Budget werden ihn viel Zeit und Nerven kosten…
Angesichts dieser verzwickten Konstellationen sollte ein Politiker – oder auch eine Politikerin – mit wachem Verstand eigentlich zu dem Schluß kommen, daß es höchste Zeit ist, sich die im wahrsten Sinne des Wortes brennendsten Probleme vom Hals zu schaffen. In Bezug auf die Ukraine scheint sich immer mehr anzudeuten, daß man an einer Weiterführung und schon gar einer Ausweitung des Krieges nicht mehr interessiert ist. Der »Siegesplan« des Herrn Selenski ist faktisch vom Tisch, außerdem stehen die Unterstützer des Krieges gegen Rußland vor ziemlich leeren Waffen- und Munitionsdepots. Es bröckelt an der Heimatfront, sowohl im Kriegsland als auch in den Ländern der vier Herren.
Auch im Nahen Osten droht der von Israel gelegte Brand sich immer mehr auszubreiten, wodurch das Wahlvolk in den meisten Ländern des Werte-Westens immer unruhiger und immer schwerer zu zähmen ist. Ideal wäre also, wenn die vier Herren über eine Lösung beraten könnten, die beiden Weltbrandherden endlich den Garaus macht.
In beiden Fällen ist Verhandeln dringend geboten. Vielleicht könnte man ja eine Videoschalte von Berlin nach Rom einrichten, um sich von Papst Franziskus noch einmal erklären zu lassen, warum Verhandeln nicht Kapitulation bedeutet.