Ausland05. August 2023

EU-Parlament mischt sich im Libanon ein

Syrische Flüchtlinge sollen nicht zurückkehren

von Karin Leukefeld

Bis zu 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge leben im Libanon unter schwierigen Bedingungen. Da Libanon offiziell keine Lager zuläßt, haben die Menschen sich einfache Unterkünfte aus Holz, Pappe und Plastikplanen gebaut. Diese Barackensiedlungen stehen auf angemieteten Wiesen oder Brachflächen in der Bekaa-Ebene, wo die Flüchtlinge Arbeit in der Landwirtschaft oder auf Baustellen finden können. Unterstützt werden sie von internationalen staatlichen, halbstaatlichen und privaten Hilfsorganisationen, deren Arbeit über die UNO mit der libanesischen Interimsregierung koordiniert wird.

Jahr für Jahr muß die UNO um Geld bitten, damit die Arbeit der Hilfsorganisationen auch finanziert werden kann. Bei »Geberkonferenzen« werden von denjenigen, die das meiste Geld geben – USA, EU, Deutschland, Japan, Kanada, Frankreich – Zusagen gemacht, die immer weniger eingehalten werden.

Das geht seit zehn Jahren so, und die syrischen Flüchtlinge, um die es eigentlich gehen sollte, leben in der Schwebe unter menschenunwürdigen Bedingungen. Und so versuchen Familien immer wieder Geld aufzubringen, um mit einem einfachen Boot das Mittelmeer Richtung Europa zu überqueren. Die Hoffnung auf eine Schule in einem Flüchtlingslager auf einer griechischen Insel für ihre verarmten Kinder ist Eltern das lebensgefährliche Unterfangen wert.

Häuser statt Barackensiedlungen

Manche Flüchtlingsfamilien in den libanesischen Barackenlagern werden zusätzlich zu einem Minimum an Nahrungsmitteln und Sachleistungen auch mit monatlichen Geldzuweisungen von bis zu 80 US-Dollar unterstützt – solange sie im Libanon sind.

Syrien und der Libanon fordern, daß die Menschen diese Hilfe auch bei einer Rückkehr in ihre syrische Heimat erhalten. Der Libanon möchte sich bei der Bewältigung vieler Krisen im eigenen Land entlasten und die syrischen Flüchtlinge nach Syrien zurückführen. Syrien möchte die Menschen wiederaufnehmen, benötigt aber Hilfe und Unterstützung, um die Kriegsfolgen zu überwinden. Neben gesellschaftlicher Versöhnung gehört dazu vor allem der Wiederaufbau ziviler Infrastruktur, damit die Rückkehrer in den Dörfern ihre Wohnungen wiederherrichten und ihre Arbeit wiederaufnehmen können.

Doch als kürzlich der Vertreter der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bei einem Festakt des von Deutschland, den VAE und anderen im Jahr 2013 (!) zugunsten der bewaffneten syrischen Opposition aufgelegten »Treuhandfonds für den Wiederaufbau in Syrien« (Syrian Recovery Trust Fund, SRTF) erklärte, man freue sich »auf die vor uns liegende Zeit, wenn die Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem SRTF für den Wiederaufbau ganz Syriens genutzt werden« könne, stieß er bei der Vertreterin des deutschen Außenministeriums auf Ablehnung. Die Haltung Berlins gegenüber »dem Assad-Regime« sei unverändert. So lange »dieses Regime weiterhin täglich ungeheuerliche Menschenrechtsverletzungen begeht, sind Deutschland und die EU nicht bereit, eine Normalisierung der Beziehungen in Erwägung zu ziehen, das Regime beim Wiederaufbau zu unterstützen oder die Sanktionen aufzuheben.«

Rückkehr nach Syrien nicht erwünscht

Ganz auf der Linie von Berlin (und Washington, Paris und London) liegt auch das EU-Parlament, das Mitte am 13. Juli 2023 eine Resolution zur Lage im Libanon verabschiedete. Das Papier, das mit großer Mehrheit in Brüssel angenommen wurde, liest sich wie eine neo-koloniale Anweisung, was der Libanon zu tun und zu lassen hat, wen das Land verfolgen und anklagen soll und welche politischen »Reformen« es vorzunehmen hat.

Die EU-Parlamentarier, von denen vermutlich die überwiegende Mehrheit weder im Libanon noch in Syrien gewesen sein dürften oder die Lebensbedingungen dort kennen, stellten fest, daß »die Bedingungen für eine freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge in Würde in Konfliktgebiete Syriens nicht gegeben« seien. Die Flüchtlinge müßten im Libanon bleiben und – durch internationale Hilfsorganisationen – »angemessen versorgt werden«. Mit anderen Worten: Von der EU gibt es für die Flüchtlinge nur Geld in libanesischen Barackenlagern, nicht für Wohnungen in Syrien.

Im Libanon wurde parteiübergreifend die »Einmischung aus Brüssel« zurückgewiesen. Der für Flüchtlinge zuständige libanesische Interims-Minister Issam Sahrafeddine bezeichnete die Entscheidung des EU-Parlaments als »willkürlich und unakzeptabel«. »Das ist eine eklatante Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten.« Der Abgeordnete Faisal Karameh bezeichnete die EU-Resolution als »legal wertlos«. Sie verletzte internationales Recht, weil sie sich in die souveränen Angelegenheiten des Libanon einmische. Die rechtsradikalen Libanesischen Kräfte forderten, die internationale Gemeinschaft solle dem Libanon bei der Rückkehr der Flüchtlinge helfen »oder sie sollen sie in andere europäische oder arabische Länder bringen, die sie aufnehmen und ihnen Aufenthalt und ein gutes Leben garantieren«.

Der libanesische Außenminister Abdullah Bou Habib bezeichnete die Entscheidung des EU-Parlaments als »Bedrohung für den Libanon«. In einem Brief an den EU-Außenbeauftragten Joseph Borrell schrieb er, die Lage der syrischen Flüchtlinge bedrohe »nicht nur das soziale Gefüge des Libanon, sondern auch die wirtschaftliche Stabilität und die Existenz des Libanon als Ganzes«.

Westen verhindert die Rückkehr syrischer Flüchtlinge

In einem Interview mit dem libanesischen Nachrichtensender Al Mayadeen sagte Bou Habib, die EU-Länder und der Westen wollten nicht, daß die syrischen Flüchtlinge nach Syrien zurückkehrten. Vielmehr arbeiteten sie daran, die Flüchtlinge in deren derzeitigen Gastländern Libanon, Jordanien und Türkei festzuhalten. »Die Europäische Union sagt, daß Syrien für die Rückkehrer nicht sicher ist. Wir sind der Meinung, daß das nicht stimmt.« Die westlichen Länder wollten dem syrischen Staat schaden, indem sie das Thema der Vertriebenen und Flüchtlinge instrumentalisierten. Der Westen meine, der Krieg in Syrien gehe weiter und sie wollten noch immer den Sturz des Regimes.

Syrien erkenne, daß die Flüchtlinge nicht zurückkehrten, weil sie in den Gastländern versorgt würden und dort Geld erhielten, sagte Bou Habib unter Verweis auf libanesisch-syrische Gespräche der zuständigen Ministerien. Die Kriegszerstörungen in Syrien schreckten die Menschen ab. Um Abhilfe zu schaffen und trotz westlicher Blockade Syrien beim Wiederaufbau zu unterstützen, hätten die Außenminister arabischer Staaten ein Komitee gegründet. Mitte August sei ein Treffen in Kairo geplant, um die Frage der vertriebenen und geflohenen Syrer zu lösen, so der libanesische Außenminister.

Nach Angaben des UNHCR, beherbergt der Libanon die größte Zahl von Flüchtlingen pro Kopf und pro Quadratkilometer in der Welt. Zu den syrischen und palästinensischen Flüchtlingen kommen 13.715 registrierte Flüchtlinge anderer Nationalität hinzu.