Illusionen sind keine Macht:
Im Kapitalismus herrscht das Kapital
Es ist Staunen angebracht, wenn Zeitgenossen zu wissen geben, was sie überrascht und erregt. Etika-Koordinator Jean-Sébastien Zippert hat im »Land« Nr. 49 vom 7.12. einen Meinungsartikel untergebracht gegen die Kolonisierung der Ernährung durch die Finanzmärkte unter dem Titel »Les moissons du capital«.
Nun ist es unbestreitbar, daß das Finanzkapital in dieser Endphase des Kapitalismus die Macht übernommen hat und das Handels- wie Industriekapital an der Leine führt. Es sollte, so lange nachdem Karl Marx in »Das Kapital« analysiert hat, wie Kapitalismus funktioniert, auch keine Überraschung mehr sein, daß in dem System nach dem Prinzip »fressen oder gefressen werden« ein Konzentrationsprozeß stattfindet. Es macht wenig Sinn, das mit Zippert zu beklagen, denn so ist das System eben gestrickt. Es kann gar nicht anders.
Es sollte auch klar sein, daß Profit das eigentliche Ziel des Kapitals ist, und zwar je mehr, desto besser. Im Kapitalismus geht es nun mal nicht ums Allgemeinwohl, sondern ums Wohl des Kapitals. Das wird so lange so bleiben, wie der Kapitalismus Bestand hat.
Es ehrt alle, die das nicht gut finden. Es bringt aber nichts, wenn das zum Wunsch führt, der Kapitalismus möge anders funktionieren als seine ihm zugrundeliegenden Funktionsweisen es zulassen. Es wird nicht möglich sein, dem Kapital das Streben nach dem Maximalprofit im Interesse des Gemeinwohls abzugewöhnen.
Daher sollte es auch nicht möglich sein, folgendes zu schreiben ohne gleichzeitig zum Sturz des Kapitalismus aufzurufen: »Au delà du fait – très préoccupant en soi – que ces activités sont motivées par le désir de créer des profits plutôt que de favoriser le bien commun, la financiarisation a un impact significatif sur la manière dont les aliments sont produits, distribués et consommés.«
Selbstverständlich hat der massive Einstieg des Finanzkapitals in den Nahrungsmittelsektor nicht nur bedeutende, sondern sogar negative Auswirkungen, und es macht Sinn, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Es ist das schließlich ein weiteres Argument für die Schädlichkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems für die übergroße Mehrheit und daher ein Argument für die Notwendigkeit, dem ein Ende zu bereiten.
Denn das Rad der Geschichte läßt sich nicht zurückdrehen – zum Beispiel auf das Jahr 1965, um es dann dort anzuhalten. Es gilt zu begreifen, daß da systembedingte Ursachen Wirkung entfalten.
Ursache und Wirkung
Mit Moral hat das alles nichts zu tun, denn dem Kapitalismus ist jede Moral fremd. Das zeigt sich auch in den sogenannten Partnerschaftsabkommen der EU mit den AKP-Staaten, also den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks. Das sind Knebelverträge mit katastrophalen Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft und die Nahrungsmittelsouveränität der betroffenen Staaten.
Hannes Hofbauer beschreibt das nachvollziehbar in »Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert.« (Promedia-Verlag, Wien) auf Seite 30: »Freihandel zwischen ungleichen Partnern nützt dem ökonomisch (und militärisch) Stärkeren. Im Westen wird viel propagandistische Kraft darauf verwendet, diese Binsenweisheit zu verschleiern. Blumig wird in den Verträgen über ‚Präferenzabbau‘ und ‚Beseitigung von Diskriminierungen‘ geschrieben. Wer allerdings einen Blick auf die Details der oft unter wirtschaftlichem Zwang betriebenen Absprachen wirft, kann schnell erkennen, worum es tatsächlich geht: um Markterweiterung für Betriebe mit Überkapazitäten, die diese profitabel verkaufen wollen. Gegenseitigkeit steht bloß auf dem Papier. Das wird beispielsweise deutlich, wenn die EU großmundig die zollfreie Einfuhr für afrikanische oder karibische Agrarprodukte verkündet, diese aber nur die rohe Frucht, nicht jedoch verarbeitete Produkte betrifft. Die rohe Mango darf ohne Zoll auf den EU-Binnenmarkt, der in Tetra Paks abgefüllte Fruchtsaft wird besteuert; und zwar deshalb, weil die Verpackung nicht aus dem afrikanischen Ursprungsland kommt und daher das Partnerschaftsabkommen nicht gilt.«
Das hat Folgen in all den Staaten, die mit der EU solche ungleichen Knebelverträge abgeschossen haben. Eigentlich müßten all die vielen staatlich subventionierten »Nichtregierungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit« aufstehen und die Auflösung dieser Verträge fordern. Denn sie rauben allzu vielen Menschen die Lebensgrundlage durch Billigimporte und sie verhindern obendrein den Aufbau einer Weiterverarbeitungsschiene vor Ort, was eine Wertschöpfungskette mit höherem Einkommen und zusätzlichen Arbeitsplätzen verhindert.
Wer sich aber nicht mehr sattessen kann und keine Zukunftsperspektive sieht, der verläßt schweren Herzens seine Heimat Richtung jener Gegenden jenseits des Mittelmeers, wo alle jeden Tag zu essen haben. So sorgen die EU-AKP-Verträge für jene Migration, die von gewisser Seite als »Wirtschaftsflüchtlinge« bezeichnet werden, die kein Recht auf Flucht hätten. Nun gab es solche Hungerflüchtlinge im 19. Jahrhundert auch hierzulande. So manche suchten dem Hunger im Lande Luxemburg zu entfliehen mit einer Auswanderung nach Nord- oder Südamerika. Heute sind wir froh, daß das nicht mehr nötig ist.
Logischerweise sollte es das Ziel unserer Politik sein, daß das auch in den AKP-Staaten nicht mehr nötig ist. Dazu muß die Imperialisten-EU ersetzt werden durch eine solidarische Zusammenarbeit der Völker, die untereinander fairen Handel treiben. Das muß 2019 Thema im Wahlkampf zum EU-Parlament werden, nicht die Illusion, der Imperialistenverein könne zu einem »sozialen Europa« mutieren.
jmj