Israels Armee führt Krieg gegen die Zivilbevölkerung
Ein Besuch in Nabatieh im Süden des Libanon
Wir müssen uns auf einen langen und großen Krieg vorbereiten. Dafür fehlt uns alles: Medikamente, medizinische Instrumente und regelmäßige Unterstützung«, sagt Mouna Abu Zayed, die leitende Direktorin des Krankenhauses »Al Najdeh« in der südlibanesischen Stadt Nabatieh.
»Nach der israelischen Bombardierung eines zivilen Wohnhauses nicht weit von hier wurden zwei verletzte Personen gebracht. Ein Mann war am rechten Bein verletzt, vermutlich ein Bruch. Da aber unser Computertomograph repariert werden muß, wir also keinen CT-Scanner haben, konnten wir keine richtige Untersuchung durchführen und mußten ihn in ein anderes Krankenhaus schicken. Ein Kind, das bei uns eingeliefert wurde, verlor bei dem Drohnenangriff seine Mutter und Geschwister. Glücklicherweise hat der Vater überlebt und fand den Jungen bei uns.«
Mouna Abu Zayed und der Kinderarzt Mohamad al Mehdi gehören zum Team der Libanesischen Volkssolidarität »Al Najdeh«, die das Krankenhaus in Nabatieh (Nabatiye) während des Bürgerkriegs (1975-1990) aufgebaut hat. Nabatieh gehörte 1982 zum wenig entwickelten Süden des Landes, über den die israelische Armee in den Zedernstaat einmarschierte. Auf dem Weg nach Beirut hinterließen die israelischen Soldaten eine Spur von Tod und Verwüstung.
Um die Bevölkerung in und um Nabatieh medizinisch versorgen zu können, wurde aus der medizinischen Ersthilfe »Für die Menschen« das Krankenhaus errichtet, das bis heute dem Motto von »Al Najdeh« treu geblieben ist. Einer der Gründer der Volksolidarität war Hikmet al Amin, dessen Porträt überall in der Klinik präsent ist. Der Arzt wurde bei einem israelischen Luftangriff 1982 gezielt getötet.
»Wir haben viele Familien aus dem Süden, die seit Beginn des Gaza-Krieges ihre Dörfer im Süden verlassen mußten und nun zwischen Tyr und Nabatieh leben«, sagt Dr. Mehdi, der die medizinische Leitung der Klinik hat. »Unter ihnen sind Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Krebspatienten und andere. Sie brauchen medizinische Versorgung, und wir sind da, um ihnen zu helfen.« Die Al-Najdeh-Klinik verfügt über eine Dialyse-Abteilung, die in der Lage ist, weitere Patienten zu versorgen, doch spezielle Therapie wie für Krebspatienten erfordert zusätzliche Anstrengungen. »Für die Erstversorgung der Vertriebenen aus dem Süden haben wir eine Gesundheitsstation am Rande von Nabatieh geöffnet. Wir Ärzte arbeiten dort abwechselnd tageweise, um die Arbeit hier in der Klinik nicht zu gefährden.«
»Hier ist unser Land«
Der Angriff auf das Wohnhaus in der Nacht zum 15. Februar ist für Abou Zayed und Al Mehdi keine Überraschung. Die Hisbollah habe am Mittwochmorgen das Hauptquartier der israelischen Armee im Norden des Landes, in Safed mit Raketen angegriffen, erklärt Dr. Mahdi. Israelischen Medien zufolge seien eine Soldatin getötet und sieben Soldaten verletzt worden. Bisher habe die Hisbollah jeweils Ziele der israelischen Armee innerhalb einer Entfernung von maximal 7 Kilometer zur »Blauen Linie« angegriffen. Safed liege weiter im Landesinneren Israels, und nun schlage die israelische Armee weit ins Landesinnere des Libanon zurück. Die Hisbollah greife ausschließlich militärische Ziele der israelischen Armee an, so der Arzt. »Israel greift jedoch die Zivilbevölkerung an.«
»Viele Libanesen, die eine doppelte Staatsangehörigkeit haben, verlassen das Land«, sagt Mouna Abu Zayed. Auch sie habe die kanadische Staatsangehörigkeit, aber es sei keine Frage für sie: »Unser Platz ist hier.« Dr. Mehdi, der – noch zur Zeit der Sowjetunion – seine Ausbildung in Kiew absolvierte – stimmt ihr lachend zu: »Ich bin Libanese und habe keinen anderen Paß. Hier ist unser Land, wir werden Libanon nicht aufgeben.«
Gleichzeitig betonen beide Gesprächspartner, wie schwer es für die Bevölkerung sei, sollte der Krieg sich ausweiten. Seit Jahren löse eine Krise die nächste ab und vor allem die ökonomische Lage des Landes verschärfe sich täglich. »2019 hatten wir die Finanzkrise und seitdem eine kontinuierliche Inflation. Dann folgte Corona, dann die Explosion im Hafen von Beirut, wir haben mehr als eine Million syrische Flüchtlinge, und nun der Gaza-Krieg«, zählt Mouna Abu Zayed auf. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Gehälter sind eingebrochen, Ärzte, Krankenschwestern und allgemein Fachkräfte verlassen den Libanon, um Arbeit zu finden. Die Abwanderung verschone auch das Al-Najdeh-Krankenhaus nicht. Was geschehe, wenn Israel – wie in Gaza – auch im Libanon anfange Krankenhäuser zu bombardieren, wisse man nicht.
Krieg gegen die Zivilbevölkerung
Die israelische Luftwaffe reagierte nach dem Angriff auf ihr nördliches Hauptquartier in Safed mit Luftangriffen auf zahlreiche Orte im Libanon, die weiter nördlich der »Blauen Linie« liegen, der von der UNO 2000 markierten Waffenstillstandslinie. Bomben und Raketen schlugen nahe der Küstenstadt Tyr und um Nabatieh im Landesinneren ein, ersten Angaben zufolge wurden vier Personen getötet und mindestens neun verletzt. Seit Beginn des Gaza-Krieges wurden im Libanon nach Agenturmeldungen mindestens 243 Menschen getötet, weniger als 200 von ihnen waren Kämpfer der Hisbollah.
Der Sprecher der UNO-Beobachtermission UNIFIL im Libanon, Andrea Tenenti, zeigte sich besorgt über die »Verschärfung des Konflikts« im libanesisch-israelischen Grenzgebiet. »Angriffe auf Zivilisten stellen einen Verstoß gegen das Völkerrecht und Kriegsverbrechen dar. Die Verwüstung und der Verlust von Menschenleben sind zutiefst besorgniserregend«, erklärte er am Donnerstag.
Der Drohnenangriff in Nabatieh erfolgte am Mittwochabend gegen 20.40 Uhr und zerstörte den ersten und zweiten Stock des Wohnhauses, in dem sieben Mitglieder der Familie Berjawi zum Abendessen zusammensaßen. Niemand überlebte den Angriff der vermutlich zwei Raketen, die seitlich in die Wohnung einschlugen und sich durch den Boden in das Untergeschoß bohrten, wo sie dann explodierten und das Haus beinahe zum Einsturz brachten. Die Geschosse waren vermutlich mit abgereicherter Uranmunition gefüllt.
Am Donnerstagmorgen ist das Gebäude abgesperrt, Wir Journalisten sehen Berge verwüsteter Inneneinrichtung auf dem angrenzenden Gelände, unzählige Menschen stehen vor den Absperrungen und beobachten, wie Sicherheitskräfte und der Zivilschutz den Anschlagsort untersuchen. Unter den Trümmern könnten noch Tote liegen, heißt es.
Die aufgerissene Hauswand gibt den Blick frei auf die eingestürzten Wohnungen. An einer stehen gebliebenen Rückwand im ersten Stock weht eine Gardine vor dem Fenster, ein Bett ist halb abgerutscht auf dem darunterliegenden Boden, der eingerissen ist und im Nirgends schweb. Die Wohnung darunter ist nicht mehr vorhanden, lediglich ein halb geöffneter Küchenschrank ist zu sehen, in dem die Töpfe stehen.
»Plötzlich gab es einen gewaltigen Knall«
Der Tag des Angriffs ist in Erinnerung an das Attentat auf den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri am 14. Februar 2005 ein offizieller Feiertag im Libanon, an dem Familien sich besuchen. Die junge Innenarchitektin Nur Hariri, die zu gleicher Zeit mit ihrer Familie im Nachbarhaus, knapp 50 Meter entfernt zusammensaß, beschrieb den Angriff gegenüber der Autorin: »Plötzlich gab es einen gewaltigen Knall, kurz darauf folgte eine weitere Explosion und wir wurden alle von unseren Sitzen gehoben. Wir konnten nichts tun und waren starr vor Schreck. Es war als würden wir von gewaltiger Kraft hochgezogen.«
Als sie sich wieder bewegen konnten, seien alle aus dem Haus gelaufen, aber in verschiedene Richtungen, wie Nur Hariri erzählte: »Wir waren außer uns, wie betäubt und wußten nicht was geschehen war.« Angesprochen auf ihr gutes Englisch sagt Nur Hariri, sie habe Englisch schon in der Schule gelernt. An der Libanesischen Universität in Nabatieh habe sie neben Architektur auch Französisch und Spanisch gelernt und unterrichte dort heute Innenarchitektur.
»Kurz vor dem Bombenangriff hatten wir über das Haus gesprochen und was wir verändern wollten. Ich hatte gesagt, ich sei die Innenarchitektin und es sei meine Aufgabe den Umbau zu leiten«. Sie lächelt und hält ihre Hand hoch, die den Besen gehalten hat: »Sehen Sie, ich zittere immer noch.«