Ausland29. Juni 2023

Der langsame Übergang zur Diplomatie

Verhandlungen mit Kiew zur Beendigung des Ukraine-Krieges – erstmals unter Beteiligung des Westens. Globaler Süden setzt Suche nach Friedenslösung fort

von German Foreign Policy

Am Wochenende haben – weitgehend von der Öffentlichkeit abgeschirmt – erste multilaterale Verhandlungen mit Kiew über eine Beendigung des Ukraine-Krieges begonnen. Am Samstag fanden in Kopenhagen Gespräche der G7-Staaten, der Ukraine sowie von fünf Ländern des Globalen Südens statt, die an Vermittlungsbemühungen zwischen Rußland und der Ukraine beteiligt waren oder sind.

Ziel des Treffens war es explizit, Friedensverhandlungen in Gang zu bringen; weitere Zusammenkünfte sollen folgen.

In Kopenhagen ging es unter anderem um Sicherheitsgarantien, darunter nicht nur solche für die Ukraine, sondern auch Garantien für Rußland. Öffentlich werden diese freilich noch zurückgewiesen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock stellte sich am Dienstag ausgerechnet bei einem Besuch in Südafrika noch einmal demonstrativ auf die Seite der ukrainischen Führung und verlangte, Rußland müsse umgehend »seine Soldaten abziehen«.

Unterdessen setzen Staaten des Globalen Südens ihre Suche nach einer Verhandlungslösung fort. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa ist erst kürzlich von einer »afrikanischen Friedensmission« zurückgekehrt.

Verhandlungen in Kopenhagen

Das Treffen am Samstag in Kopenhagen ist – soweit bekannt – das erste gewesen, bei dem westliche Staaten in einem größeren Rahmen mit der Kiewer Führung über eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg gesprochen haben. Offiziell zu dem Treffen eingeladen hatte die Ukraine; vertreten waren außer ihr sowie dem Gastgeber Dänemark die G7-Staaten und fünf Staaten des »Globalen Südens«, die bereits Vermittlungserfolge zwischen Kiew und Moskau erzielt haben (Türkei, Saudi-Arabien) oder sich noch darum bemühen (Brasilien, Indien, Südafrika).

China war eingeladen, nahm aber nicht an der Zusammenkunft teil. Rußlands Anwesenheit war nicht erwünscht. Das Treffen war offenkundig schon seit geraumer Zeit geplant; bereits im Mai hatte Dänemarks Außenminister Lars Løkke Rasmussen mitgeteilt, sollte die Ukraine bereit sein, mit Ländern wie Brasilien, Indien oder Südafrika über etwaige Friedensverhandlungen zu diskutieren, dann biete sich Kopenhagen als Ort dafür an.

Für das Treffen eingesetzt hatten sich auch die USA; allerdings reiste ihr Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan aufgrund eines Krisentreffens zum Putschversuch in Rußland nicht an und war nur per Video zugeschaltet.

Selenskis
»Friedensformel«

Über den Inhalt des Treffens hüllen sich die Teilnehmer weitgehend in Schweigen. Ein hochrangiger Mitarbeiter der EU-Kommission ließ sich mit der Auskunft zitieren, in Kopenhagen habe sich »ein genereller Konsens« dahingehend gezeigt, eine Verhandlungslösung müsse »die Prinzipien der UNO-Charta, etwa die territoriale Integrität und die Souveränität« aller Staaten, bestätigen. Das entspricht auch dem Grundsatz des Zwölf-Punkte-Papiers der chinesischen Regierung. Allerdings läßt dies keine weiterreichenden Schlüsse zu; ein »Bekenntnis« zu den UNO-Grundsätzen enthalten so gut wie alle bisherigen Verhandlungsvorstöße, sogar die »Friedensformel« des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski,

Gewisse Aufschlüsse erlaubt ein Bericht des ehemaligen brasilianischen Außenministers Celso Amorim, der als Architekt der Politik von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bezüglich des Ukraine-Kriegs gilt und der, als Lulas außenpolitischer Berater, an dem Treffen in Kopenhagen teilnahm. Laut Informationen von Amorim präsentierte der Leiter des Kiewer Präsidialamtes, Andrij Jermak, dort einen Entwurf für eine Abschlußerklärung, die mehrere Elemente der Selenski‘schen »Friedensformel« enthielt. Diese sieht den vollständigen Rückzug der russischen Streitkräfte aus der Ukraine – auch von der Krim –, als eine der Vorbedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen. Friedensgespräche auf ihrer Basis wären daher nach Lage der Dinge nur bei einer dramatischen russischen Niederlage möglich.

Sicherheitsgarantien

Der Entwurf für die Abschlußerklärung scheiterte entsprechend – wie Amorim bestätigt, an den Einwänden der Länder des »Globalen Südens«, die unverändert nicht dazu bereit sind, sich dem Druck des Westens zu beugen und sich gegen Rußland zu positionieren.

Sollte Jermak gehofft haben, einen Keil zwischen sie und Moskau zu treiben, sah er sich getäuscht. Wie unter Berufung auf den deutschen Teilnehmer des Treffens, Kanzlerberater Plötner, berichtet wird, griffen die Gespräche allerdings weiter aus und bezogen auch die Frage nach Sicherheitsgarantien ein – und zwar nicht nur nach Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die voraussichtlich nötig werden, weil ein ukrainischer NATO-Beitritt unter anderem an den USA scheitern dürfte, sondern darüber hinaus nach Garantien für Rußland.

Man könne Moskau beispielsweise »versichern«, heißt es, »daß keine Marschflugkörper auf dem Gebiet der Ukraine stationiert werden«. Damit wird erstmals erkennbar, daß der Westen bereit sein könnte, Zugeständnisse an Rußland zu machen, die in der Öffentlichkeit bislang entschieden zurückgewiesen werden.

Wie Amorim bestätigt, sollen dem Treffen weitere folgen. Im Gespräch ist die nächste Zusammenkunft schon für Juli; ob der Plan aufgeht, ist allerdings ungewiß.

Die afrikanische Friedensmission

Unterdessen treiben die fünf Staaten des »Globalen Südens«, die in Kopenhagen vertreten waren, ihre eigenen Friedensbemühungen energisch voran. Indiens Premierminister Narendra Modi betonte am vergangenen Donnerstag während eines Besuchs in den USA, die indische Regierung habe »vom Beginn der Ereignisse in der Ukraine an« danach gestrebt, »den Streit durch Dialog und Diplomatie zu lösen«; es sei unverändert bereit, alle Bemühungen um Frieden zu unterstützen.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa war erst Mitte Juni gemeinsam mit drei anderen afrikanischen Staatschefs und Vertretern dreier weiterer Länder des Kontinents in die Ukraine und nach Rußland gereist, um dort mit einer »afrikanischen Friedensmission« nach Wegen zur Beendigung des Krieges zu suchen. Die afrikanischen Bemühungen sollen weiter vorangetrieben werden.

Die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor erklärte am Dienstag, Pretoria werde sich durch den Putschversuch in Rußland nicht von der Suche nach Frieden abbringen lassen, Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bestand bei dem Gespräch in Pretoria auf der Forderung, Rußland müsse »seine Bombardierungen einstellen und seine Soldaten abziehen«. Nur so könne »der Krieg enden«.

Lula gegen
neuen kalten Krieg

Umfassende Friedensbemühungen entfaltet seit einiger Zeit insbesondere Brasilien, Präsident Lula hielt sich Mitte vergangener Woche in Rom auf, um in Gesprächen unter anderem im Vatikan, der seinerseits um ein Ende des Waffengangs bemüht ist, nach Wegen aus dem Krieg zu suchen. Er verband das mit der Forderung, die globale Ordnung an die veränderten Kräfteverhältnisse anzupassen – das umso mehr, als es offenkundig »Mode unter den ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates« geworden sei, »in andere Länder einzufallen«.

Am Samstag präzisierte er in Paris, »als die Vereinigten Staaten in den Irak einmarschierten«, hätten sie »niemanden konsultiert«; »als Sarkozy und England in Libyen einmarschierten«, hätten sie das ebenfalls nicht getan, »und als Putin in die Ukraine einmarschierte«, habe er sich auch nicht um internationale Zustimmung dafür bemüht. So könne es nicht weitergehen.

Lula sprach sich zudem ganz entschieden gegen »einen neuen Kalten Krieg« zwischen den USA und China aus: »Niemand will Krieg.« Man könne nicht Milliardensummen in Konflikten verschwenden, wenn weltweit 800 Millionen Menschen Hunger litten.

Eilig haben die westlichen Mächte es mit der Beendigung des Ukraine-Krieges freilich nicht. Mit Blick auf das geplante Nachfolgetreffen zu der Zusammenkunft in Kopenhagen wurden westliche Diplomaten mit der Einschätzung zitiert, es sei »nicht unbedingt schlecht«, daß es noch ein wenig dauern könne, bis das Treffen zustande komme: Dann hätten »die Ukrainer noch ein bißchen Zeit, noch ein paar mehr Gewinne auf dem Schlachtfeld herauszukitzeln«. Das verbessere ihre Position.