Leitartikel10. September 2024

Rückzugsgefechte

von Uli Brockmeyer

Ausgerechnet einer der bekanntesten Scharfmacher für den Krieg gegen Rußland auf diplomatischem Parket, der frühere Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, versucht sich als »Friedentaube« darzustellen. Offenbar beeindruckt von den Mißerfolgen seines Landes an allen Fronten – im Donbass, im russischen Gebiet Kursk, bei der Beschaffung von Waffen und Munition, bei der Sammlung von Unterstützern für den »Friedensplan« seines Präsidenten, beim Betteln um Zustimmung für Angriffe auf Moskau und in der Tiefe Rußlands – plädiert er neuerdings für eine Initiative in Richtung Friedensverhandlungen.

In einem ausführlichen Gespräch mit der »Berliner Zeitung«, die von einigen Ukrainefreunden und deutschen »Sicherheitsorganen« bereits als »rußlandfreundlich« eingestuft und beobachtet wird, sprach sich der jetzige Botschafter der Ukraine in Brasilien dafür aus, daß die deutsche Bundesregierung ihre Kontakte nach Moskau nutzen sollte, um Möglichkeiten für Gespräche auszuloten. Zwar schlägt er im weiteren Verlauf des Interviews, das am Samstag veröffentlicht wurde, wieder die von ihm gewohnten Töne des Krieges an, doch ganz offenbar ist der Mann, dessen Eltern ihm seinerzeit bewußt den Namen eines bekannten ukrainischen Kollaborateurs der faschistischen deutschen Wehrmacht gaben, zu der Erkenntnis gelangt, daß auf dem Schlachtfeld nicht mehr allzuviel zu erreichen ist, schon gar nicht ein militärischer Sieg über Rußland.

Wahrscheinlich ist er auch frustriert darüber, daß alle Versuche seines Präsidenten, in aller Welt weitere Unterstützung zu sammeln, deutlich abnehmenden Erfolg haben. Das Kriegertreffen in der vergangenen Woche auf dem USA-Stützpunkt Ramstein hat den Präsidenten sichtlich enttäuscht. Der gastgebende USA-Kriegsminister konnte ihm keine Zustimmung geben, mit den vom Westen gelieferten Waffen weit im russischen Hinterland liegende Ziele anzugreifen, und die Zusicherungen über neue Waffenlieferungen aus den USA, Britannien und Deutschland, sind alles andere als ein »game changer«.

Von der militärischen Front im Donbass, im Jahr 2014 begonnen als »Anti-Terror-Operation« der Ukraine gegen die dortige mehrheitlich russischsprachige Bevölkerung, die sich dem nach dem Maidan-Putsch installierten Regime in Kiew nicht unterordnen wollte, kommen immer mehr Hiobsbotschaften. Die »Offensive« gegen Rußland im Gebiet Kursk ist nicht nur ins Stocken geraten, sie bringt den Kiewern auch keinen der erhofften Vorteile.

Womöglich ist Herr Melnyk im fernen Brasília auch unsicher, was die Rochaden in der Kiewer Regierung zu bedeuten haben, über deren tieferen Sinn in aller Welt gerätselt wird. Daß daraus, wie von Selenski behauptet, »neue Energien« entspringen, ist eher zu bezweifeln.

Die Idee, Berlin für die Suche nach einer Friedenslösung zugunsten der Ukraine einzuspannen, dürfte nicht viel Erfolg zeitigen. Zu tief hat sich die deutsche Regierung in den Krieg gegen Rußland verstrickt, ein deutscher Botschafter in Moskau ist daher alles andere als ein ernst zu nehmender Vermittler. In Frage kommen da wohl eher Länder wie China, Indien, Brasilien. Wichtigste Voraussetzung wäre zudem die Einsicht, daß Kiew Moskau mit dem sogenannten »Friedensplan« nicht zu einer Kapitulation bewegen kann. Und die, daß die Vereinbarung, die zwischen russischen und ukrainischen Unterhändlern im April 2022 in Istanbul ausgehandelt worden war, und an die Rußlands Präsident in der vergangenen Woche erinnerte, womöglich zu einem Ergebnis führen kann, das die Sicherheitsinteressen aller beteiligten Seiten garantieren könnte.