Annäherung historischer Verbündeter
Syrien ist ein unverzichtbarer Eckpfeiler arabischen Handelns
Mit dem Besuch des ägyptischen Außenministers Sameh Shoukry in Damaskus am Sonntag und Montag vergangener Woche schlägt Ägypten ein neues Kapitel in den bilateralen Beziehungen zu Syrien auf. Möglich geworden ist die Annäherung durch das verheerende Erdbeben, das am 6. Februar das türkisch-syrische Grenzgebiet verwüstet und mehr als 50.000 Menschenleben gefordert hat. Sameh Shoukry reiste von Damaskus weiter in die Türkei, wo er mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlut Cavusoglu zusammentraf.
Unmittelbar nachdem die Ausmaße des Erdbebens sichtbar wurden, hatte der ägyptische Präsident Abdel Fattah El-Sisi seinem syrischen Amtskollegen Baschar al-Assad Unterstützung zugesagt. Drei ägyptische Militärmaschinen brachten Hilfsgüter nach Damaskus. Ärzte- und Rettungsteams halfen vor Ort, um Verschüttete zu bergen. Seitdem sind viele Tonnen Hilfsgüter aus Ägypten für die syrischen Erdbebenopfer eingetroffen. Auch die Opfer in der Türkei werden aus Ägypten versorgt.
Der Besuch von Außenminister Shoukry war der erste Besuch eines hochrangigen ägyptischen Politikers in der syrischen Hauptstadt, seit die Mitgliedschaft des Landes in der Arabischen Liga 2011 auf Betreiben der arabischen Golfstaaten ausgesetzt worden war.*
»Syrien zurück in die Arabische Welt bringen«
In Damaskus traf Shoukry mit dem syrischen Außenminister Faisal Mekdad und mit Präsident Assad zusammen, dem er eine Botschaft von Präsident El-Sisi überbrachte. Kairo werde Syrien helfen, hieß es. Man sei stolz auf die historischen Beziehungen beider Länder und hoffe, die bilaterale Kooperation wieder auszubauen. Am gleichen Tag forderte das ägyptische Parlament, daß Syrien wieder in die Arabische Liga zurückkehren müsse. Vorausgegangen war ein Bericht von Parlamentssprecher Hanafy Gebaly, der in Bagdad an der Konferenz der Arabischen Parlamentarischen Union (APU) teilgenommen hatte.
Die APU-Konferenz sandte eine Delegation mit Vertretern des Irak, Ägyptens, Jordaniens, der VAE, Libyens, Omans und des Libanon nach Syrien, um dem »geschwisterlichen Volk nach dem schrecklichen Erdbeben« die Solidarität zu versichern. Bei einem Gespräch mit Präsident Assad in Damaskus habe Hanafy Gebaly betont, daß »Syrien ein Eckpfeiler« gemeinsamen Handelns der arabischen Staaten und »unverzichtbar für die nationale Sicherheit der Araber« sei, hieß es in ägyptischen Medien. Ägyptens Präsident El-Sisi habe erklärt, man solle nicht warten, »daß Syrien zu uns kommt, wir sollten nach Syrien gehen und es zurück in die Arabische Welt bringen«.
Unter Mohammed Morsi, der für die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit bei den Präsidentschaftswahlen 2012 zum Präsidenten gewählt worden war, hatte Kairo die diplomatischen Beziehungen mit Damaskus abgebrochen. Ägypten folgte damit den Verbündeten USA, NATO, der Türkei und Katar, die im Syrienkrieg die von der sunnitischen Muslim-Bruderschaft geführten Regierungsgegner unterstützten. Morsi, selber lange führendes Mitglied der ägyptischen Muslim-Bruderschaft, wurde nur ein Jahr nach Amtsantritt, im Juli 2013, vom Militär gestürzt. Der damalige Armeeminister Abdel-Fatteh El-Sisi wurde 2014 neuer Präsident. Unmittelbar nach Amtsantritt hatte El-Sisi bei einem Besuch in Washington erklärt, die territoriale Einheit Syriens sei Teil der nationalen Sicherheit Ägyptens. Die unter Morsi engen Beziehungen zu Katar wichen einer engeren Kooperation mit Saudi-Arabien.
Sanktionen verwüsten Ökonomie
Die Folgen der Isolation Syriens, des langen Krieges und der massiven ökonomischen Verwüstung des Landes treffen inzwischen die ganze Region. Die Auswirkungen der einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen der EU (seit 2011) und des Caesar-Gesetzes der USA (seit 2020) knebeln die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Nachbarschaft Syriens bis zu den Golfstaaten und nach Nordafrika. Das Caesar-Gesetz bedroht nicht nur Syrien, sondern jeden Staat, jede Einzelperson und jedes Unternehmen mit Finanzsanktionen, die mit Syrien Geschäfte machen.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) nahmen 2018 die diplomatischen Beziehungen mit Syrien wieder auf. Der jordanische König Abdullah II. reiste im September 2021 Washington, um dort eine Aussetzung des Caesar-Gesetzes zu erwirken, das auch Jordanien wirtschaftlich stranguliert.
Auf der Münchner »Sicherheitskonferenz« Mitte Beruar erklärte der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan Al Saud , die Isolierung Syriens führe nicht weiter. Mindestens in Fragen der humanitären Hilfe, des Wiederaufbaus und der Rückkehr von Flüchtlingen müsse man gemeinsam mit Syrien Lösungen finden. Nicht nur im Golfkooperationsrat, sondern in der ganzen arabischen Welt wachse der Konsens, daß der Status Quo nicht funktioniere. Damit hat auch Saudi-Arabien eingestanden, daß alle Pläne des Westens und regionaler Partner, in Damaskus einen Regimewechsel zu erzwingen, gescheitert sind.
Druck von USA, NATO und EU
Das verheerende Erdbeben am 6. Februar hat mit Syrien und der Türkei zwei Staaten getroffen, die seit zwölf Jahren Schauplatz eines ebenso verheerenden Stellvertreterkrieges lokaler und ausländischer Akteure sind. Während die USA und die EU ihr Sanktionsregime gegen Syrien lediglich für sechs Monate teilweise lockern, hat das Erdbeben unter den regionalen Akteuren die Pattsituation aufgebrochen.
Der Besuch des ägyptischen Außenministers in Damaskus bringt nicht nur zwei historische Verbündete wieder zusammen, er signalisiert auch die Wiederbegegnung zweier Regionen, die unter enormem Druck von USA, EU und NATO stehen.
Für den von den USA geführten Block von EU und NATO ist die Kontrolle der Schiffspassage durch den Suezkanal, das östliche Mittelmeer bis zur Straße von Gibraltar wichtig. Durch den Wirtschaftskrieg gegen Rußland ist auch die Kontrolle der Gasvorkommen im östlichen und südlichen Mittelmeer zwingend für die EU. Kontrolle über die Region versucht der westliche Block durch die Spaltung zwischen den Staaten der Region und vor allem gegen Iran zu erreichen.
Kontrolle bedeutet eine Politik von »Zuckerbrot und Peitsche«. Mit dem »Abrahams Abkommen« versuchen die USA eine »neue Normalität« zwischen Israel und den arabischen Ländern zu erreichen. Wer sich anschließt, kann mit Vorteilen rechnen, wer ablehnt, mit Problemen. Ägypten sieht sich umgarnt von der EU-Kommissionspräsidentin, die dem Land Finanzhilfe für den Ausbau von Wasserstoffproduktion und die Verflüssigung von Gas für die EU zugesagt hat.
Die USA dagegen drohen Kairo mit der Einschränkung der jährlichen Militärhilfe. Bisher ist Ägypten mit 1,3 Milliarden US-Dollar jährlich nach Israel der zweitgrößte Empfänger von Militärhilfe aus den USA. Allerdings stoppten die USA im September 2022 wegen Menschenrechtsverletzungen in Ägypten 130 Millionen US-Dollar, 10 Prozent des Geldes. Die EU-Kommission hatte in den letzten Jahren wiederholt Ägypten davor gewarnt, sich für die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga einzusetzen, weil das die Beziehungen zwischen der EU und Ägypten belasten werde.
Dennoch näherten sich Ägypten und Syrien im militärischen und Sicherheitsbereich weiter an. Vor der COVID-19-Pandemie wurde die Rückkehr zehntausender syrischer Flüchtlinge aus Ägypten in die Heimat von Kairo unterstützt. Die Außenminister beider Länder trafen sich erstmals wieder am Rande der UNO-Generalversammlung in New York im September 2021. Besonderen Einfluß hatten jedoch syrische Unternehmer, die mit Beginn des Krieges 2011 ihr Geld in Niederlassungen in Ägypten anlegten. Die syrischen Investitionen stiegen im Laufe der Zeit auf rund 23 Milliarden US-Dollar und trugen zumindest auf privater Ebene erheblich zur Annäherung beider Länder bei.
Das katastrophale Erdbeben bot Ägypten die Gelegenheit, mit humanitärer Hilfe für Syrien durch die Tür zu gehen, die die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Libanon und das Sultanat Oman bereits geöffnet hatten. Die Annäherung mit Syrien dürfte für Ägypten erheblich einfacher sein, als mit der Türkei, die ebenfalls Erdbebenhilfe aus Kairo erhält. Die AKP-Regierung von Präsident Erdogan fungiert bis heute als Pate der Muslim-Bruderschaft.
»Partnerschaft» und »Abschreckung«
Der Wille zur regionalen Kooperation und friedlichen Verständigung in der arabischen Welt und der Persischen Golfregion wird von China und Rußland seit Jahren gefördert. Die USA versuchen derweil die Region mit Luftabwehrsystemen und Marinestreitkräften gegen den Iran zu stärken.
Pentagon-Chef Lloyd Austin will sich dafür mit »wichtigen Partnerstaaten« und USA-Truppen im Mittleren Osten treffen. Das teilte Brigadegeneral Pat Ryder, der Sprecher des Pentagon vor Journalisten in Washington mit. »Angesichts fortlaufender Bewaffnung und Finanzierung von Milizen in der Region durch den Iran« wolle Austin die Partner beruhigen, hieß es im Internetprotal »Al Monitor«.
Der Rückzug von USA-Truppen aus der Region und der militärische Fokus Washingtons auf der Ukraine gegen Rußland und auf Taiwan gegen China, hat die Glaubwürdigkeit der USA im Mittleren Osten erschüttert. Der abrupte Abzug der USA-Truppen aus Afghanistan hat dazu geführt, daß arabische Staaten ihre wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen mit Rußland und China ausgebaut haben.
Auf der IDEX, der größten Waffenmesse der Welt, die alle zwei Jahre in Abu Dhabi (VAE) stattfindet, hat die russische Waffenexportfirma Rosoboronexport den Golfstaaten Kooperation bei der Produktion des Kampfjets SU-75, einem Tarnkappen-Kampfflugzeug angeboten. Die IDEX fand in diesem Jahr vom 20. bis 24. Februar statt und zog 130.000 Besucher an. 1.350 Aussteller aus 65 Staaten waren vertreten.
Mitte Februar hatte Brett McGurk, Koordinator für den Mittleren Osten und Nordafrika im Weißen Haus eine neue »Biden-Doktrin für den Mittleren Osten« vorgestellt. Kern der Doktrin sind fünf Prinzipien, die das Engagement der USA in der Region leiten sollen: »Partnerschaften, Abschreckung, Diplomatie, Integration und Werte«.
Als Beispiel für »Partnerschaften« nannte McGurk die langjährigen Beziehungen der USA mit Marokko, Ägypten, Israel und den Golfkooperationsstaaten. Man habe 200 Manöver miteinander durchgeführt, strategische Dialoge, hochrangige Besuche auch auf Präsidentenebene, und ständige Beziehungen gebe es im Hintergrund. Die militärische »Abschreckung« so McGurk, habe sich in den letzten zwei Jahren gegen Bedrohungen durch »den Iran und seine Marionetten« gerichtet. Man habe die Kapazitäten der Partner gestärkt und »neue Sensibilisierungsnetzwerke« etabliert. Die »Werte« würden von Präsident Biden selbst, von »den Amerikanern und den amerikanischen Diplomaten« verkörpert. Die USA seien »der größte Geber humanitärer Hilfe« in der Region.
*Anlaß für den Ausschluß Syriens aus der Arabischen Liga war die harte Reaktion der syrischen Regierung und seiner Sicherheitskräfte auf eine Protestbewegung die in Deraa ihren Anfang genommen hatte. Gleichzeitig pumpten Katar, Saudi Arabien, die USA, NATO-Staaten und die Türkei Geld und Waffen an islamistische Regierungsgegner, wie der Muslim-Bruderschaft. Der Ruf der innersyrischen Opposition, nicht zu den Waffen zu greifen, verhallte ungehört. Die rasche Militarisierung eskalierte zu einem Krieg, in dem lokale, regionale und internationale Akteure ihre Interessen gegen Damaskus und auch gegeneinander durchsetzen wollten. Inzwischen ist offensichtlich, daß alle Akteure in einer Sackgasse sitzen. (kl)