Zum Fall Julian Assange
Ein Mann wird gebrochen, ein Exempel statuiert
Julian Assange schmachtet im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Sein Vergehen: Er hat Kriegsverbrechen der USA im Irak, in Afghanistan und anderswo publik gemacht. Für die USA kommt dies einer äußerst schlimmen Straftat gleich.
Es gibt unterschiedliche Methoden, einen Menschen zu Tode zu schinden: Es gibt die brutale physische Art und es gibt die »sanfte« psychische Art. Im Falle von Assange ist es eine raffinierte Kombination von beiden. Eine Isolierung, die zwar nicht total ist, die aber auf den jahrelangen Aufenthalt unter karzerähnlichen Bedingungen in der Botschaft Ecuadors folgt und die den Gefangenen körperlich und seelisch zermürbt, sein Selbstwertgefühl, seine Willenskraft, sein Vertrauen in sich und die Gesellschaft, in den Rechtsstaat, in Gerechtigkeit zersetzt. Assange scheint nunmehr ein Wrack zu sein und es fragt sich, ob er, auch wenn er überleben sollte, je wieder eine einigermaßen normale Existenz führen könnte.
Nils Melzer, UNO-Sonderberichterstatter für Folter, der Assange am 9. Mai 2019 im Gefängnis besuchte, spricht von psychologischer Folter und von Justizwillkür. Durch die Überwachung rund um die Uhr wird der Betroffene, so Melzer, in eine Art Verfolgungswahn getrieben.
Die Feigheit der EU – der Nationalstaaten wie der EU-Institutionen: Niemand hat sich getraut, Assange Asyl anzubieten. Auch die meisten Menschenrechtsorganisationen halten sich zurück. Sie möchten es sich nicht mit den Herrschenden verderben. Auch der journalistische Mainstream berichtet nur ein Minimum, verschweigt das Allerschlimmste. Verlegenheit allenthalben.
Das vulgär-machiavellistische Vorgehen der US-Amerikaner, Briten, Schweden und schließlich der Ecuadorianer seit 2017 unter dem neuen Präsidenten Moreno. Ecuador entzog Assange das Asyl, zudem die ecuadorianische Staatsbürgerschaft und lieferte ihn an Britannien aus. Assange wurde zum »homo sacer«, d.h. vogelfrei. Es gab keinerlei faires Verfahren; das Recht hat man sich nach Bedarf zurechtgebogen. Man mag sich das Gezeter im Westen vorstellen, wenn Rußland, die Türkei oder China ähnlich mit einem Whistleblower umspringen würden.
Wenn westliche Staaten solch verhohlene Foltermethoden anwenden und dabei ertappt werden, so sollten sie wenigstens den Mut haben, dies zuzugeben und fürderhin nicht mehr nicht-westliche Staaten, die auf ähnliche Methoden zurückgreifen, kritisieren. Sie sollten vielmehr verkünden: Erlaubt ist was der Staatsräson entspricht, was der inneren und äußeren Sicherheit des Staates nützt. Dies würde zwar keinen ethischen Fortschritt bedeuten, aber immerhin von einer gewissen Ehrlichkeit und Kohärenz zeugen.
Sollte diesen westlichen Ländern noch ein Minimum an Schamhaftigkeit verbleiben, dann müßten sie den Diskurs über Menschenrechte aufgeben, denn diese Rechte sind zu einem reinen Instrument der politischen Propaganda verkommen.
Das EU-Parlament hat den »Sacharow-Preis für geistige Freiheit« an Alexej Nawalny verliehen. Dies mag in mancher Hinsicht vielen als gerechtfertigt erscheinen. Es ist dies aber auch eine bequeme Weise, Putin einen Rüffel zu erteilen. Wirklichen Mut hätte dieses Parlament beweisen können, wenn es Assange mit diesem Preis ausgezeichnet hätte. Doch auch der großen Mehrheit des EP scheinen Bündnistreue und politischer Konformismus wichtiger zu sein als das Recht des Einzelnen auf physische und psychische Integrität.
Das wichtigste Ziel der widerlichen westlichen Händel zu Lasten von Assange ist Abschreckung und Einschüchterung. Niemand, ob Journalist oder nicht, soll es mehr wagen, Untaten von mächtigen westlichen Staaten aufzudecken – dies in einer Zeit, wo die Meinungs- und Pressefreiheit weltweit ohnehin immer mehr zurückgedrängt wird.