Luxemburg05. Juli 2024

Die Mauer des Schweigens durchbrechen

von KP

Die »Armut bekämpfen« sei eines der primären Ziele dieser Regierung, meinte Premier Luc Frieden in seiner Rede zur Lage der Nation. Dass dies allerdings nur ein Lippenbekenntnis des Anwalts der Finanzlobby ist, geht aus einer rezenten Pressemitteilung der Vereinigung »Solidaritéit mat den Heescherten« hervor.

In dem Schreiben heißt es, dass sich Sozialarbeiter und Streetworker unter Wahrung ihrer Identität an die Vereinigung gewandt haben, um den derzeitigen Zustand im Alltag zu erläutern. Das ist uns geläufig, da es diesen Menschen, die oft auch bei sogenannten »Asbl’s« angestellt sind, untersagt ist, sich mit Journalisten auszutauschen. Begründet wird dies damit, dass Probleme, die da aufgegriffen werden, wichtige politische Akteure ins Gerede bringen könnte, und da man seinen Arbeitsplatz nicht einfach so aufs Spiel setzen will, muss der/die »Pfeifenbläser/in« das Ego hinter einer Maske verstecken.

Aus der Mitteilung geht auch hervor, dass die meisten Probleme nicht neu und probate Lösungen nicht vorhanden sind. »Es fehlt uns an allem«, sagt uns eine Sozialarbeiterin und stellt trocken fest, dass der Anstieg der Anzahl von Obdachlosen auf die bisherige Weise nicht mehr zu bewältigen ist. Die Drogenabhängigkeit und psychische Krankheiten, unter denen vielen dieser Menschen leiden, seien zudem auch eine Belastung für die eingesetzten Sozialarbeiter.

Wir reden hier
über Menschen...

Angeprangert wird dann noch die Mär, dass diese Menschen »Fremde« seien, denen gar keine Sozialrechte zustehen, und dass es ihnen nur darum gehe, einen Nutzen aus der Lage zu »erheischen«. Nun ist es aber Fakt, dass die große Mehrheit der betroffenen Menschen ein Recht auf Sozialhilfe hat. Man hat es lediglich so eingerichtet, dass diese Menschen den Anspruch auf dieses Recht nicht zuteil wird. Es gibt nicht ausreichend Plätze in den Foyers, und die Interpretation des Befundes »soziale Notlage« kann, je nachdem mit welchem Akteur man es gerade zu tun hat, unterschiedlich ausfallen.

So werden in Luxemburg nicht nur die allgemein gültigen Grundrechte und Bedürfnisse dieser Menschen ignoriert. Und es wird eine interessante Frage aufgeworfen: »Mal abgesehen von einem Schlafsack, dem Bett für eine Nacht, einem Snack, gelegentlich einer warmen Suppe – wovon, sagten Sie, profitieren die?«.

Natürlich wird in dieser anonymen Klage auch wieder die »Wanteraktion« bemüht. Eine seit Jahren bestehende »Notlösung«, die nur im Winter stattfindet. Das Beste, das man dieser Aktion abgewinnen kann, ist, dass es sich um einen rein humanitären Einsatz handelt. Das wohl auch nur, als es dem Finanzplatz nicht gut zu Gesicht stünde, wenn hier Menschen auf der Straße erfrieren würden.

Und es geht generell auch um Menschenrechte. Ein Begriff, der in unseren Gefilden oft falsch angewendet wird, und für viele Mitbürger auch nicht für die Menschen, die man jeden Tag sieht, eine Rolle spielt.

Als Fazit ergibt sich dann, dass hierzulande die Symptome wohl erkannt, nicht aber behandelt werden. Warum ist dem so? Weil die politischen Interessen einiger privilegierter Personenkreise nun mal einen höheren Stellenwert einnehmen als die Geister, die man, vielleicht nicht gerufen, als Gesellschaft aber erschaffen hat.

Die ewig langen Wartelisten für die Aufnahme in einer kleinen Struktur, oder für den Zugang zu einer Entziehungskur sind Belege hierfür. Der extreme Mangel an sozialem Wohnraum ist ein weiterer.

Hackordnung
fürs Prekariat

Es müsste allerdings nicht einmal ansatzweise so dramatisch sein wie hier beschrieben. Alle konnten, auch das wird uns so mitgeteilt, erleben, wie reaktionsschnell die Politik sein kann, wenn es denn gewollt und gut fürs Image ist. Politiker müssen nur den eigenen Vorteil erkennen und sich dabei sicher sein, dass sie von den Medien hofiert werden – und schon tut sich was.

Man macht sich nicht einmal Gedanken darüber, dass hier Bedürftige Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Aus reiner politischer Profilsucht, wird sogar eine Hierarchie für bestimmte Kriegsflüchtlinge gefördert. Die wiederum werden generell als »bedürftiger« denn Obdachlose eingestuft.

Dass nun Sozialarbeiter über den Umweg einer gemeinnützigen Organisation ein Pressestatement abgeben müssen, und das auch noch anonym, lässt tief blicken. Es erscheint folglich auch recht naiv, dass die Verfasser doch noch einen Appell an die Entscheidungsträger in der Regierung und an die Kommunen richten, damit jetzt sofort konkrete Maßnahmen in An-griff genommen werden, um den Bedürfnissen angepasste Strukturen zu schaffen. Bestehende Kapazitäten sollen ebenfalls sofort ausgebaut werden, fordern sie.

Sie sind verärgert, haben aber
kein Plakat...

In dem Schreiben an die Vereinigung »Solidaritéit mat den Heescherten« wird dann noch auf den »rezenten« Zensus aus dem Jahr 2022 verwiesen, und es werden noch einige weitere fundierte Argumente angeführt. Dennoch lassen die anonymen Verfasser klar durchblicken, dass man, im Glashaus sitzend, nicht den ersten Stein werfen will.

Niemand behauptet, dass es einfach ist, sich an die Öffentlichkeit zu wagen und den Finger auf die Wunde zu legen. Natürlich riskiert der »Whistleblower«, neben dem Arbeitsplatz auch sein Ansehen – und ja, das ist sehr ungerecht. Was aber nützt es, die Faust in der Tasche zu halten, wenn man letztendlich nicht gewillt ist, diese mit entsprechender Wirkung auf den Tisch zu schlagen?

Sozialarbeitern traut man zu, nicht nur Charakter und starke Nerven zu haben. Nun stellt man erstaunt fest, dass deren Zivilcourage an vielerlei Bedingungen geknüpft ist. Sich gleichzeitig verärgert zu zeigen, dass es nicht genügend nachhaltige Lösungen für Probleme gibt, und sich dann über den Umweg einer gemeinnützigen Vereinigung an die Medien zu wenden, um die politisch Verantwortlichen an ihre Verantwortung zu erinnern, ist für die Betroffenen auch keine Hilfe.