Der Wind dreht sich
Die regionale Zusammenarbeit im Nahen Osten wird gestärkt – Israel zunehmend isoliert
Der Annäherungsprozeß zwischen den Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien hat vor dem Arabischen Gipfeltreffen am 19. Mai in Riad aktive Diplomatie ausgelöst
Im Mittelpunkt der Gespräche steht Syrien, das seine Beziehungen zu zahlreichen arabischen Staaten wiederaufgenommen hat. Anfang Mai trafen sich die Außenminister von Saudi-Arabien, Irak, Ägypten und Jordanien mit dem syrischen Außenminister Feisal Mekad bereits zum zweiten Mal. Bei dem Treffen in der jordanischen Hauptstadt Amman ging es um Handelsbeziehungen, die Rückkehr syrischer Flüchtlinge aus den arabischen Nachbarländern und um die Wiederherstellung der territorialen Integrität und nationalen Souveränität Syriens. Ziel der arabischen Länder ist es, Syrien wieder in die arabische Gemeinschaft aufzunehmen und die Türkei und Iran gleichermaßen auf Abstand zu halten.
Der iranische Präsident Ibrahim Raisi reiste Mitte der Woche auf Einladung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu einem »strategischen« zweitägigen Besuch in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Begleitet wurde Raisi von einer Ministerdelegation, die mit ihren jeweiligen syrischen Amtskollegen Fachgespräche führten.
Die beiden Präsidenten unterzeichneten am Ende des Besuches eine Vereinbarung über die weitere Zusammenarbeit beider Staaten. Dazu gehört zum Beispiel, daß man beim Ausbau einer Eisenbahnverbindung kooperieren will, bekräftigt wurde auch die Zusammenarbeit in der Landwirtschaft und im Bereich der Ölversorgung. Auch im Kampf gegen Terrorgruppen werde man kooperieren, hieß es. Präsident Raisi begrüßte ausdrücklich die intensiven Gespräche arabischer Staaten mit Syrien und die regionale Bereitschaft zur Kooperation.
Beide Präsidenten betonten die negative Rolle Israels in der Region und verurteilten die anhaltende israelische Besatzung der syrischen Golanhöhen und palästinensischen Bodens, die Angriffe auf die Al Aqsa Moschee und die Gewalt gegen die palästinensische Bevölkerung. Beide Politiker verurteilten die Plünderung syrischen Öls durch die USA-Armee sowie deren Besatzung syrischen Territoriums. Auch die anhaltenden einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen von EU-Kommission und USA-Administration gegen Syrien und gegen den Iran wurden zurückgewiesen.
Während zahlreiche westliche oder westlich geprägte Medien in dem Besuch des iranischen Präsidenten in Damaskus eine Abfuhr für Saudi-Arabien wähnten, ist vor allem der Wille zur Kooperation zwischen den Staaten der Region unübersehbar. Alle Seiten versuchen, ihre Interessen abzustecken und sich zukünftig im Dialog zu einigen, um weitere militärische Konfrontation zu vermeiden.
Zwölf Jahre nach Beginn des Syrien-Krieges dreht sich der Wind in der Region. Die Wiederaufnahme regionaler Handelsbeziehungen und die Rückkehr syrischer Flüchtlinge sind für alle Länder der Region von Bedeutung. Die intensiven diplomatischen Aktivitäten im Vorfeld des Arabischen Gipfeltreffens, das am 19. Mai in der saudischen Hauptstadt Riad stattfinden wird, haben nach zwölf Jahren Krieg de facto zur »Rehabilitierung« des Landes und des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad geführt.
Der Prozeß der regionalen Annäherung wird von Israel und seinen Verbündeten in der EU und in der USA-Administration abgelehnt. USA-Außenminister Anthony Blinken macht den arabischen Außenministern, die sich mit ihrem syrischen Amtskollegen Feisal Mekdad wiederholt trafen, derzeit per Telefon klar, daß die USA-Administration ihre »Beziehungen mit dem Assad-Regime nicht normalisieren wird und es auch nicht unterstützt, daß andere Staaten dies tun«. Der Nationale Sicherheitsberater des USA-Präsidenten Jake Sullivan hat für dieses Wochenende Gespräche mit den Emiraten und Indien in Saudi-Arabien angekündigt.
Israel setzt derweil seine Angriffe auf Syrien weiter fort, ohne von Syrien provoziert worden zu sein. Zuletzt wurden zivile Ziele in Homs – 3 Tote an einer Tankstelle – und der Flughafen von Aleppo (4 Tote) sowie Orte bei As Sfireh im Osten von Aleppo getroffen. Der Flughafen Aleppo mußte erneut seinen Betrieb vorübergehend einstellen.
Besonders aggressiv geht Israel weiterhin gegen die Palästinenser vor. Nach dem Tod des prominenten palästinensischen Gefangenen Khader Adnan haben israelische Polizeikräfte Angriffe auf das Flüchtlingslager Dschenin, auf Ramallah und Nablus durchgeführt. Mindestens drei Mitglieder der Hamas wurden dabei getötet. Palästinenser griffen vereinzelt wieder israelische Siedler an. Eine Frau, die einem israelischen Siedler eine Stichwunde zugefügt hatte, wurde auf der Stelle erschossen. Der Gefangene Khader Adnan war am Dienstag nach 87 Tagen Hungerstreik in einem israelischen Gefängnis gestorben. Er war Anfang Februar zum wiederholten Mal aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Islamischen Dschihad und wegen politischer Reden festgenommen und ohne Gerichtsurteil eingesperrt worden.