Der Krieg gegen Gaza eskaliert
Angriffe auf die Huthi-Bewegung im Jemen
Der Krieg gegen Gaza geht auch nach der einwöchigen Rundreise von US-Außenminister Antony Blinken weiter. Als direkte Folgen registrierte die Region eine Zunahme gezielter Tötungen von Hisbollah-, Hamas- und irakischen Militanten im Libanon, Syrien und Irak durch israelische und US-amerikanische Kampfjets und Drohnen.
Seit dem 7. Oktober wurden mindestens 23.350 palästinensische Kinder, Frauen und alte Menschen getötet, mehr als 59.400 Menschen wurden verletzt. Mehr als 85 Prozent der palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen wurde vertrieben, es herrscht Hunger, Schulen und Kliniken sind weitgehend zerstört.
Kriegsschiffe der USA und Britanniens feuerten in der Nacht zu Freitag mit der Unterstützung der Niederlande, Kanadas, Bahrain und Australiens nach Angaben eines US-amerikanischen Militärsprechers mehr als 100 Raketen – offiziell »mehr als zwei Dutzend Angriffe« – auf Ziele im Jemen. Die Angriffe, bei denen u.a. Kampfjets und Tomahawk Marschflugkörper eingesetzt wurden, seien »im Einklang mit dem naturgegebenen Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung, das mit der UNO-Charta in Übereinstimmung steht« erfolgt hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von Australien, Bahrain, Dänemark, Deutschland, Kanada, der Niederlande, Neuseelands, der Republik Korea (Südkorea), des Vereinigtes Königreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika.
Die »Präzisionsschläge« hätten in dem von der Huthi-Bewegung (Ansarallah) gelegenen Teil des Jemen Ziele getroffen. Meldungen aus dem Jemen besagen, daß dabei mindestens fünf Menschen getötet wurden. Damit bekenne man sich »zur Freiheit der Schifffahrt, zum Welthandel und zur Verteidigung des Lebens von Seeleuten«, hieß es. Ziel sei »der Abbau von Spannungen und die Wiederherstellung von Stabilität im Roten Meer (...) Im Angesicht fortdauernder Bedrohungen« werde man »nicht zögern, Menschenleben zu verteidigen und den freien Verkehr von Waren auf einem der weltweit wichtigsten Seewege zu schützen.«
Bis auf Bahrain liegt keines der Länder, die den Angriff auf den Jemen durchführten und/oder politisch oder aktiv unterstützten in der Region des Roten Meeres oder der arabischen Welt. Die deutsche Außenministerin Baerbock, die sich derzeit in den Philippinen und Malaysia aufhält, um dort die militärische Zusammenarbeit gegen China im südchinesischen Meer zu besprächen und um Fachkräfte abzuwerben, bestätigte die »politische Unterstützung« der deutschen Bundesregierung für die Angriffe auf Jemen.
Der UNO-Sicherheitsrat hatte am Tag zuvor eine von den USA und Japan eingebrachte Resolution (UNSR 2722) verabschiedet, in der ein Ende der Angriffe aus dem Jemen auf die zivile Schifffahrt im Roten Meer gefordert und das Recht von Nationen bestätigt wird, »in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht« seine Schiffe zu schützen. Die Resolution wurde mit 11 Ja-Stimmen und 4 Enthaltungen angekommen.
Rußland hatte zuvor drei Änderungsanträge vorgelegt, um eine »Politisierung des Textes« zu verhindern. Die Lage im Roten Meer stehe zudem im Zusammenhang mit dem militärischen Vorgehen Israels in Gaza seit drei Monaten, das müsse in der Resolution erwähnt werden, erklärte die russische Vertretung. Die Änderungen wurden von Britannien und den USA abgelehnt, die anderen neun Staaten enthielten sich. Da die Änderungsanträge Rußlands nicht angenommen wurden, enthielten sich bei der abschließenden Abstimmung neben Rußland auch China, Algerien und Mosambique.
Die jemenitische Huthi-Bewegung (Ansarallah) hatten mit Angriffen auf israelische Militärstellungen und auf Schiffe im Roten Meer, die für Israel bestimmt Ladungen transportierten und teilweise nachweislich Waffenlieferungen enthielten, zur Unterstützung der Hamas im Gaza-Streifen und im besetzten Westjordanland eingegriffen. Die Angriffe würden erst gestoppt, wenn ein Waffenstillstand in Gaza erreicht und palästinensische Gefangene frei seien, so ein Sprecher.
Drohungen der USA, die eine militärische Allianz zum Schutz der Schiffe aufbauen wollte, wurden aus dem Jemen zurückgewiesen. Wenn die USA die Huthis angreifen würden, würden sie selber zum Ziel von Angriffen werden, so ein Militärsprecher der Bewegung. Die arabischen Golfstaaten beteiligen sich – wie die meisten EU-Staaten – nicht an der von den USA geführten maritimen »Schutztruppe« im Roten Meer.
Tunnelkämpfe in Gaza
Die israelische Armee erklärte nach der Abreise des USA-Außenministers am Mittwoch, mehr als 300 Tunneleingänge und mehr als 100 bei Chan Younis im Süden des Küstenstreifens zerstört zu haben. Israelische Sondereinsatzkommando würden der Hamas nun einen Kampf in den Tunnelsystemen liefern, so ein Armeesprecher vor Journalisten in Tel Aviv. Der israelische Brigadegeneral Dan Goldfus wird von der Deutschen Presseagentur mit der Aussage zitiert, die Armee habe »ihre Strategie angepaßt«. Der »Kern der Hamas« sei »im Untergrund«, und »dort werden wir sie besiegen«, sagte er.
Nach Angaben einer israelischen Regierungssprecherin sollen sich noch 136 Geiseln im Gazastreifen befinden, 25 von ihnen seien aber vermutlich nicht mehr am Leben. Israelische Medien berichteten auch, daß es Verhandlungen gebe, um durch das Internationale Rote Kreuz Medizin zu den Geiseln zu bringen. Bestätigung dafür gab es nicht.
Israelische Medien berichteten auch, daß Katar einen Verhandlungsvorschlag unterbreitet habe, wonach alle israelischen Geiseln in Gaza freigelassen werden sollten, wenn die israelische Armee sich im Gegenzug aus dem Küstenstreifen zurückziehe. Die Führung der Hamas solle demnach Gaza verlassen und ins Exil gehen. Katar werde das Büro der Hamas in Doha schließen.
Katar wies die Berichte, wonach das Land »die Ausweisung der Hamas-Führung im Gegenzug für eine Waffenruhe« vorgeschlagen habe, als »falsch« zurück. Seit Kriegsbeginn sei so etwas nie und mit niemandem diskutiert worden, hieß es in Doha. Die Verbreitung »falscher Informationen« schadeten den Gespräche mit regionalen und internationalen Stellen, um zu vermitteln.
Irreführende Medienberichte
Vor Journalisten in der libanesischen Hauptstadt Beirut bezeichnete Osama Hamdan vom Politbüro der Hamas, die Darstellung in israelischen Medien als »irreführend und falsch«. Es handle sich um den Versuch, die zornige israelische Öffentlichkeit zu beruhigen, insbesondere die Familien der Geiseln. Sie müßten zusehen, wie ihre Kinder von der Besatzungsmacht getötet würden, so Hamdan. Die Hamas habe ihre Bedingungen zur Freilassung wiederholt erklärte, sagte Hamdan und bekräftigte, daß es einen Gefangenenaustausch geben werde, wenn ein umfassender Waffenstillstand im Gazastreifen vereinbart sei.
Ob auch angebliche geheime Gespräche Israels für die Umsiedlung von Palästinensern in den Kongo falsch sind, ist unklar. Die israelische Zeitung »Times of Israel« berichtete (in der hebräischen Ausgabe der zur Zeitung gehörenden Website Zman Israel am 5.1.2024), die Netanjahu-Regierung werbe aktuell im Kongo und anderen Staaten für die Unterstützung eines »freiwilligen« Umsiedlungsplans für die Palästinenser. »Kongo ist bereit Migranten aufzunehmen und wir reden mit anderen«, wird eine namentlich nicht genannte Quelle aus dem israelischen Sicherheitskabinett zitiert. Demnach sei auch Saudi-Arabien als mögliches Aufnahmeland im Gespräch. Angeblich soll Netanjahu selber mitgeteilt haben, man arbeite an einer »freiwilligen Auswanderung« der Palästinenser in andere Staaten.
Mit der Frage der erzwungenen Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen befaßte sich der UNO-Sicherheitsrat in einer offenen Sitzung zum Thema »Die Situation im Mittleren Osten, einschließlich der palästinensischen Frage« am Freitag (Ortszeit New York). Die UNO-Vollversammlung diskutierte bereits am vergangenen Mittwoch erneut über Feuerpausen im Krieg gegen Gaza, um humanitäre Hilfsgüter in das Kriegsgebiet zu bringen.
Israelische Zensurbehörde
Das Internetportal »The Intercept« berichtete sowohl Ende Dezember 2023 als auch Anfang Januar 2024 über die massive Einflußnahme eines militärischen Medienzensors in Israel, mit der die Berichterstattung aller Medien aus Israel und über den aktuellen Krieg gegen Gaza einer strengen Kontrolle unterworfen sind. Das Büro des Chef-Zensors, Brigadegeneral Kobi Mandelblit, ist bei der Armee angesiedelt.
Über mindestens acht Themen dürfen Journalisten demnach nicht berichten. Dazu gehören die Waffen, die die israelische Armee einsetzt, Informationen aus dem Sicherheitskabinett, Berichte über Geiseln, die von der Hamas freigelassen wurden. Zudem wird auch eine bestimmte Sprachregelung festgelegt, an die sich Journalisten halten müssen.
Das palästinensische Gesundheitsministerium, das regelmäßig die Zahlen der Toten und Verletzten veröffentlicht, darf nicht als »palästinensisches Gesundheitsministerium«, sondern als »von der Hamas kontrolliertes Gesundheitsministerium« bezeichnet werden. Deutschsprachige Medien haben diese Sprachregelung weitgehend übernommen. Ausländische Journalisten, die in Israel arbeiten, müssen nicht nur über eine Akkreditierung der israelischen Regierung verfügen. Sie müssen auch eine schriftliche Erklärung unterschreiben, die sie vom Presseamt der Regierung erhalten, mit der sie sich an die Vorschriften des militärischen Zensors halten.
Botschaft aus Gaza: »Wir sind sehr müde und erschöpft«
Die Situation für die Bevölkerung in Gaza bleibt weiter katastrophal. Hilfslieferungen werden durch schleppende israelische Kontrollen verlangsamt. Die Hilfsgüter können wegen der anhaltenden Bombardierungen aus der Luft, durch schwere Artillerie und vom Meer nicht sicher verteilt werden. Seit langem sind keine Hilfslieferungen mehr in den Norden des Gaza-Streifens gelangt, der weitgehend einer Trümmerwüste gleicht.
Ein namentlich nicht genannter, der Autorin aber bekannter, Deutsch sprechender Familienvater, der seit Beginn des Krieges auf der Flucht von einem Ort in Gaza zum anderen irrt, sandte zum neuen Jahr eine Botschaft über sein Mobiltelefon: »Liebe Freundinnen und Freunde, fast 100 Tage Krieg haben wir nun hinter uns. Jede Sekunde zählt und jede Sekunde könnten wir verletzt oder auch getötet werden. Die israelischen Waffen leisten sehr gute Arbeit und sind sehr bemüht, soviel von uns umzubringen wie sie nur können. Das ist eine nackte Tatsache.
Das Ausmaß an Zerstörung ist unbeschreiblich. Alle Kriege seit 2008/2009 sind ein Spiel gewesen, im Vergleich zu dem Krieg von heute. Zwar leben und atmen wir weiter, ABER wir sind sehr, sehr, sehr müde, erschöpft und ermattet. Meine, unsere Kinder tun mir am meisten so leid. (Und nicht nur sie, sondern alle Kinder auf der Welt).
Dieser Weg ist 100prozentig der falsche Weg. Denn so kann und wird NIEMALS Frieden entstehen. Das Gegenteil ist das Ergebnis. Wissen die Weltherrscher das etwa nicht??!!
Nun ja, ich bin kein Politiker, um das zu beurteilen. Ich bedauere es aber so sehr, daß sie unserem Elend schon so lange ohne Handeln zugeschaut haben. Die Angriffe auf den Gaza-Streifen dauern jetzt an, während ich Ihnen und Euch diese Zeilen schreibe. Das bedeutet noch mehr Tote, Verletzte und noch mehr Zerstörung.«