Leitartikel26. Juli 2024

Patronale Forderungen werden deutlicher

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Es ist noch nicht so lange her, daß die neue CSV-Sozialministerin direkt im Anschluß an ihren »Méi an der Täsch«-Wahlsieg freundlich lächelnd angekündigt hat, daß erneut am Rentensystem geschraubt werden soll. Vor wenigen Wochen kamen nun neue Zahlen zur Lage der »working poor« im Land, also jenen Menschen, die trotz einer Vollzeit-Arbeit arm sind, auf den Tisch. Während die »Wettbewerbsfähigkeit« eine heilige Kuh ist, die nicht angetastet werden darf, weil sie als Gradmesser des gesellschaftlichen Wohlstandes hingestellt wird, was natürlich Unsinn ist, bekommen immer mehr Menschen im reichsten Land der EU die Enden von Lohn und Monat nicht mehr beieinander. Daß von der neuen konservativ-neoliberalen Regierungskoalition keine Sozialpolitik zu erwarten war, ist keine Überraschung. Der eingangs erwähnte CSV-Slogan zu den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst, wirkt in diesem Zusammenhang geradezu bizarr.

Die Gewerkschaften hatten zum 1. Mai erneut vor den Rentenplänen der neuen Regierung gewarnt. Während der OGBL erneut die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen im Land forderte, wünschte man sich beim LCGB wie so oft eine Tripartite. Doch ist dieses Mittel überhaupt noch probat? In der Vergangenheit mehrte sich durchaus Zweifel daran, auch wenn dies hierzulande nicht zu laut gesagt werden darf. Wesentlich praktikabler erscheint es da, durch massive Unterstützung der Gewerkschaften, diesen den Rücken so zu stärken, daß sie die Interessen der Lohnabhängigen und der Rentner wieder deutlicher von der Straße durchsetzen können.

Gerade in diesen Zeiten, wo EU-weit liberal-konservative bis rechte Parteien in politische Verantwortung gehievt werden und auf die Sozialsysteme schielen, gilt es, Abwehrmechanismen zu stärken. Die muß bei der politischen Bildung durch Gewerkschaftsarbeit in den Betrieben beginnen. Ein Protestpiquet hier, eine Brandrede da wird kein scharfes Schwert sein bei der Verteidigung sozialer und demokratischer Interessen. Allzu viele Menschen , die aus Protest und Enttäuschung über den fehlenden Willen bisheriger sozialliberaler Regierungen zu Verbesserungen den Rattenfängern ihre Stimmen überließen, werden erst merken, was sie angerichtet haben, wenn es zu spät ist und der Sozialstaat EU-weit geschleift wurde. Deshalb gilt es jetzt wachsam zu bleiben und sich zu organisieren.

Insbesondere, da das Patronat mit einer neuen Regierung im Rücken seine sozialdarwinistischen Forderungen nun freier und in neuer Schärfe vortragen kann. So phantasierte etwa der aktuelle Boss der Handwerkerföderation im Frühjahr, wie schön es wäre, einen »Sozialdialog ohne Gewerkschaften« haben zu können und wetterte zugleich gegen den »Absentismus«. Letzteres ist ein patronaler Kampfbegriff, mit dem kranken Lohnverpflichteten unterstellt wird, grundlos der Arbeit fern zu bleiben. Daß eventuell betriebliche Zustände für eine Erkrankung verantwortlich sein könnten, wird hier freilich ausgeblendet. Diese Woche dann forderte dann UEL-Präsident Marc Wagener ganz offen Rentenkürzungen und stellte das staatliche Rentensystem in Frage. Zwar wurde betont, daß es zunächst einmal um hohe Bezüge gehe, doch die Büchse der Pandora wäre geöffnet. Gleichzeitig zu solchen Ideen werden fortschrittliche Entwicklungen, wie die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, die in anderen Ländern bereits nachweislich auch die Produktivität der Betriebe erhöht sowie für eine bessere »work-life-balance« sorgt, kategorisch abgewehrt.

Die sozialen Kräfte in diesem Land stehen angesichts dieses Bollwerks aus Patronat und Regierung vor interessanten Zeiten. Dabei steht auch der soziale Frieden in einem Land auf dem Spiel, dessen Gesellschaft so stark fragmentiert ist, wie in kaum einem anderen EU-Staat.