Leitartikel19. Juli 2024

Rot ist das neue Grün

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Seit dem berühmten »Accord de Paris«, in dem sich 195 Vertragsparteien (194 Staaten plus die EU) Ende 2015 darauf verständigt haben, die globale Erwärmung auf »deutlich unter« zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen und Anstrengungen für eine Begrenzung auf anderthalb Grad Celsius zu unternehmen, ist der weltweite Kohlendioxidausstoß – außer im Hauptjahr der Coronaviruspandemie 2020 – in jedem Jahr weiter gestiegen.

So heißt es im gerade vom britischen Ölmulti BP herausgegebenen »Energy Outlook 2024«. Darin gehen die Konzernökonomen um Spencer Dale davon aus, daß die weltweite tägliche Nachfrage nach Erdöl im Jahr 2035 noch bei 98 Millionen Barrel (das Faß zu je 159 Liter) liegen wird. Das entspricht ungefähr dem derzeitigen Ölverbrauch, liegt aber um deutliche fünf Prozent über (!) der Prognose im letztjährigen »Energieausblick« des Konzerns.

Weiter heißt es, zwar könne die Erdölnachfrage des weltweiten Verkehrssektors bis 2035 abnehmen, doch dafür werde die petrochemische Industrie absehbar noch mehr Erdöl nachfragen als heute. Deshalb schätzen die BP-Ökonomen ein, daß das wichtigste Erzeugnis von BP in den kommenden 15 bis 20 Jahren »weiterhin eine wichtige Rolle im globalen Energiemix spielen« wird.

Auch die ehemalige British Petroleum läßt ihre weltweit rund 67.600 Mehrwertproduzenten derzeit mehr Öl und Gas fördern als der von Februar 2020 bis September 2023 amtierende irische Konzernchef Bernard Looney angekündigt hatte, als die angebliche »Energiewende« in aller Munde war. Damals hieß es, BP werde seine Öl- und Gasförderung – vor allem durch den für das Weltklima wirkungslosen Verkauf von Lagerstätten – bis 2030 um 40 Prozent kürzen, nun wurde dieses Ziel auf 25 Prozent »nach unten korrigiert«.

Einen gegenläufigen Trend gibt es in China, wo das Staatsunternehmen Power China gerade die größte Photovoltaikanlage der Welt ans Netz genommen hat. Die auf 200.000 Hektar (Luxemburg ist mit einer Fläche von 258.640 Hektar nur etwas größer) errichtete Solarfarm in einer Wüste im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang im Nordwesten der Volksrepublik liefert bis zu fünf Gigawatt (GW) Strom.

So soll die Anlage nahe der Regionalhauptstadt Ürümqi gut sechs Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr erzeugen. Die beiden bislang größten Solarparks der Welt befinden sich übrigens ebenfalls im Westen Chinas. Sie haben beide eine Kapazität von drei GW.

Und obwohl Chinas Bedarf an elektrischer Energie mit der Wirtschaftsleistung weiter gestiegen ist, sank der Anteil der Kohlekraftwerke an der Stromversorgung im Mai auf ein Rekordtief von 53 Prozent. Nachdem in der Volksrepublik im vergangenen Jahr Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von 216 GW neu ans Netz gingen, kamen bis Ende April weitere 60 GW hinzu – gegenüber dem ersten Trimester 2023 ist das ein weiterer Zuwachs um rund ein Viertel.

Und weil im Mai auch die Menge des in Chinas Gaskraftwerken erzeugten Stroms zurückging, konnte der Kohlendioxidausstoß des Kraftwerksektors um 3,4 Prozent gesenkt werden.

Experten gehen mittlerweile davon aus, daß Chinas kommunistische Regierung es geschafft hat, den Höhepunkt der Treibhausgasemissionen des Landes hinter sich zu lassen. Das wären sechs Jahre vor dem Datum, zu dem sich die Volksrepublik 2015 in Paris verpflichtet hat. Rot ist das neue Grün.