»Nicht betteln, nicht bitten!«
Die Erinnerungen an den 75. Jahrestag der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« werden an diesem Wochenende sehr unterschiedlich ausfallen. Westliche Staaten, darunter Luxemburg, die längst die Orientierung auf völkerrechtliche Prinzipien gegen eine »wertebasierte Ordnung« ausgetauscht haben, werden sich auf die Schulter klopfen und gleichzeitig mit dem Stinkefinger auf Länder zeigen, in denen Menschenrechte tatsächlich oder vermeintlich noch stärker verletzt werden als im eigenen Land.
Im Rahmen einer »wertebasierten« Politik hat man schon längst darauf verzichtet, die grundlegenden Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 in einem völkerrechtlich gültigen Dokument publiziert wurden, konkret beim Namen zu nennen. Denn es ist eine unumstößliche Tatsache, daß gerade in den Hochburgen des Kapitalismus, also vor allem in den USA und der EU und in den mit ihnen treu verbündeten Staaten wichtige Menschenrechte tagtäglich verletzt und mit den Füßen getreten werden.
Die wichtigsten dieser Rechte sind wohl das Recht auf ein Leben in Frieden, das Recht auf eine Arbeit mit angemessener Bezahlung, das Recht auf angemessenen Wohnraum, auf gleichberechtigte Bildungschancen oder auch das Recht auf gesundheitliche Fürsorge.
Wie es mit der Umsetzung solcher Rechte hierzulande aussieht, demonstrierte das Bistumsblatt »Luxemburger Wort« in seiner Ausgabe vom Donnerstag dieser Woche. Da freut sich die Autorin des Leitartikels auf Seite 2, daß die neue Regierung unter Führung der ach so christlichen Demokraten nun offenbar »endlich wieder ein Herz für Betriebe« hat.
Wer nun meint, die Kommentatorin hätte ihr Herz für die Beschäftigten von Ampacet entdeckt, die um ihre Rechte kämpfen und vor fast zwei Wochen in den Streik getreten sind, der irrt gewaltig. Das Gegenteil ist der Fall. Die Leitartiklerin zieht nämlich gegen die Gewerkschaft OGBL zu Felde, die wenige Tage zuvor – mit vollem Recht – betont hatte, daß es die Beschäftigten sind, die die Arbeit leisten, die den Reichtum erarbeiten.
Es seien »die Betriebsgründer, die Arbeitgeber«, die eigentlich »die Wirtschaft« darstellen, heißt es hingegen in dem regierungsnahen Blatt. Denn: »Ohne Betriebe keine Arbeit für Arbeitnehmer.« »Basta!«, könnte man hinzufügen.
Ist es nicht eigentlich genau andersherum? Ohne Arbeiter keine Betriebe. Ohne Arbeiter keine Produktion. Ohne Arbeiter kein Reichtum, weder für die Besitzer der Betriebe, noch für das Land!
Die Beschäftigten von Ampacet sind absolut im Recht, wenn sie einen höheren Anteil an dem von ihnen – nicht von den »Arbeitgebern«! – geschaffenen Reichtum einfordern, wenn sie fordern, für ihre ehrliche Arbeit anständig entlohnt zu werden, wenn sie angemessene Arbeitsbedingungen einfordern. Wohin das führt, wenn Arbeit nicht angemessen entlohnt wird, demonstriert dieselbe Zeitung, die angeblich »Für Wahrheit und Recht« stehen will, auf ihrer ersten Seite und zwei Seiten im Innenteil am Donnerstag, wo es darum geht, daß benachteiligte Kinder zu Weihnachten auch ein Geschenk bekommen sollen. Warum eigentlich muß es im »reichen Luxemburg« überhaupt benachteiligte Kinder geben?
Es gilt, auch mit Blick auf die »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte«, die Gewerkschaft, die Streikenden, die Streikposten mit aller Kraft zu unterstützen, gemäß dem alten Motto der deutschen Sozialdemokratie: »Nicht betteln, nicht bitten! Nur mutig gestritten!«