Ausland25. Juli 2024

Macron will »politische Auszeit«

Übergangsregierung in Frankreich soll bis auf weiteres bleiben. Vorschlag der Volksfront für Regierungschef zurückgewiesen

von Ralf Klingsieck, Paris

In seinem ersten Interview nach der Auflösung des Parlaments und der Neuwahl des Parlaments hat Präsident Emmanuel Macron am Dienstagabend im Fernsehen eine baldige Einsetzung einer neuen Regierung ausgeschlossen. Die bisherige Regierung soll mindestens bis nach Ende der Olympischen Spiele, möglicherweise auch bis nach Ende der Parolympischen Spiele Mitte September weiter amtieren. Für die Dauer der Spiele plädiert der Staatschef für eine »politische Auszeit«.

Daß sich der Nouveau Front populaire nach langem Tauziehen vor allem zwischen La France insoumise und den Sozialisten nur eine Stunde vor Macrons Interview auf eine gemeinsame Kandidatin für das Amt des Regierungschefs, die Finanzdirektorin der Pariser Stadtverwaltung Lucie Castets, einigen konnte, ändert für Macron nichts an der Situation. Bei der Wahl habe »niemand gewonnen«, auch nicht die Volksfront mit ihrer größten Zahl von Wählerstimmen, denn keiner der drei politischen Blöcke verfüge über die fürs Regieren nötige absolute Parlamentsmehrheit.

Um die zustande zu bringen, fordert Macron die politischen Parteien auf, in Koalitionsverhandlungen einzutreten und durch Kompromisse die Voraussetzungen für ein gemeinsames Regieren im Interesse des Landes zu schaffen. Das sei neu für Frankreich, habe sich aber in anderen Ländern seit langem bewährt. Positionen wie die von La France insoumise, für die einzig das Programm der Volksfront Richtschnur des Regierens sein soll, bezeichnete Macron als »überholt und realitätsfremd«. Daß die Volksfront vor Tagen bei der Wahl des Parlamentspräsidenten mit ihrem Kandidaten, dem Kommunisten André Chassaigne, mit 13 Stimmen Abstand zur schließlich wiedergewählte Parlamentspräsidentin Yoel Braun-Pivat unterlag, ist für Macron der Beweis dafür, daß das linke Parteienbündnis nicht über den fürs Regieren nötigen Rückhalt im Parlament verfügt.

Dabei ließ er natürlich unerwähnt, daß er selbst durch die formaljuristische Entlastung der bisherigen Regierung am Vorabend des Votums den 17 bei der Parlamentswahl erfolgreichen Ministern ermöglicht hat, sich am Votum für das Amt des Parlamentspräsidenten zu beteiligen. Diese 17 Stimmen waren mehr als die 13, die ihm für den Sieg fehlten, stellte André Chassaigne fest. »Damit ist das Votum des Volkes durch eine widernatürliche Allianz gestohlen worden.«

Macron begrüßte den zwischen der Regierungspartei Renaissance und der rechten Oppositionspartei der Republikaner geschlossenen »Gesetzgebungs-Pakt«, der die Möglichkeit eröffnet, daß rechte Abgeordnete von Fall zu Fall der Regierung zu einer für die Annahme von Gesetzen nötigen Mehrheit verhelfen. Die Forderung, er solle angesichts der festgefahrenen innenpolitischen Situation zurücktreten und den Weg für die Wahl eines neuen Präsidenten freimachen, wischte Macron vom Tisch. Er sei von den Franzosen für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt worden und werde bis zum letzten Tag seine Pflicht erfüllen.

Daß der LFI-Abgeordnete Thomas Portes unter Hinweis auf die Verbrechen Israels an der palästinensischen Bevölkerung des Gaza-Streifen erklärt hat, die israelischen Sportler seien bei den Olympischen Spielen »nicht willkommen« und sollten bestenfalls unter neutraler Flagge antreten, bezeichnete Macron als »empörend«. Er versicherte, die israelischen Sportler seien »willkommen wie alle anderen Sportler dieser Spiele« und Frankreich werde alles tun, um die bestmöglichen Bedingungen für die Wettkämpfe zu schaffen und die Olympischen Spiele zu einem Höhepunkt nicht nur des Sports, sondern auch der internationalen Verständigung zu machen.

Die Politiker des Nouveau Front populaire haben die in dem Interview zum Ausdruck gekommene Haltung von Macron zur innenpolitischen Situation als einen »neuerlichen Beweis für die Negierung der elementarsten Regeln der Demokratie« verurteilt.

»Der Präsident verhöhnt die Franzosen«, erklärte Fabien Roussel, Nationalsekretär der Kommunistischen Partei. Dieses Gefühl verstärke sich immer mehr und dabei werde »Empörung immer mehr zu Wut«, stellte er fest. Trotz der zwei schweren Niederlagen bei der EU-Wahl und der vorgezogenen Wahl des Parlaments wolle das Regierungslager nichts von seiner Macht hergeben. »Macron geht sogar so weit, das Rassemblement National und den Nouveau Front populaire als gleichermaßen extrem zu bezeichnen und damit auf eine Stufe zu stellen. So versucht er, seine politischen Winkelzüge zu rechtfertigen, mit denen er die Linke daran hindert, gemäß dem Wählerwillen Regierungsverantwortung zu übernehmen.«