Kriegsrat an der Grenze
Der britische Militärchef ist wichtigster Verbindungsmann der NATO in der Ukraine
Der britische Admiral Sir Tony Radakin, Chef des Generalstabs der Streitkräfte des Vereinigten Königreichs, reiste Mitte des Monats zu einem geheimen Ort an der Grenze zwischen Polen und der Ukraine, um sich mit dem obersten Militärkommandeur der Ukraine, General Waleri Salushni zu treffen. Der Dritte im Bunde war der ranghöchste US-amerikanische Offizier bei der NATO in Europa, Armeegeneral Christopher Cavoli, Kommandeur des »United States European Command« und des »Supreme Allied Commander Europe«. Die Offiziere sprachen unter sich von der Konferenz als einem »Kriegsrat«.
Der ukrainische General hatte seinen gesamten Kommandostab mitgebracht. Bei der fünfstündigen Konferenz ging es um nicht weniger als die Neuausrichtung der ukrainischen Militärstrategie, den Umgang mit den als »stockend« bezeichneten »Fortschritten der ukrainischen Offensive«, aber auch um die Schlachtpläne für den bevorstehenden Winter. Die Konferenzteilnehmer waren sich offenbar einig, daß sich der Krieg »unweigerlich« bis 2024 hinzieht.
Über das eigentlich geheime Treffen schwiegen sich die westlichen Medien aus, jene Medien, die begierig jede »Meldung« über den Krieg in der Ukraine verbreiten, wenn sie wie gewöhnlich aus militärischen oder »Geheimdienstkreisen« der USA oder Britanniens stammt. Admiral Radakin hatte allerdings auf seinem X-Konto (vormals Twitter) mit sichtlichem Stolz darüber geplaudert und Fotos gepostet. Bekannt wurde die Angelegenheit durch einen Bericht in der britischen Zeitung »The Guardian« am Samstag.
Der Kriegsrat an der Grenze hat eine Vorgeschichte, die anhand der X-Posts des britischen Admirals verfolgt werden kann. Am 7. Juli 2022 war er nach Kiew gereist, um mit seinem »Kollegen« Salushni zu sprechen, schrieb er. Am 25. August 2022 vermerkte er stolz, daß er zusammen mit dem Premierminister Kiew besucht und bei dieser Gelegenheit auch Präsident Selenski und zum zweiten Mal General Salushni getroffen habe.
Am 12. August 2023 vermerkt der Admiral auf X, er habe in dieser Woche in der Ukraine eine Reihe Treffen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Salushni gehabt. »Das war mein fünfter Besuch seit der russischen Invasion. Wir haben über die ukrainische Gegenoffensive gesprochen und ich habe die unerschütterliche Unterstützung des Vereinigten Königreichs betont«, schreibt er.
Dann schließlich folgte der Kriegsrat an der Grenze »mit Comd US EUCOM, General Cavoli«, über den Admiral Radakin am 18. August berichtet. Bleibt anzumerken, daß alle diese Treffen offiziell der Geheimhaltung unterlagen, und also keine Informationen an die Medien gingen.
Wie der »Guardian« nun enthüllte, hatte einige Tage vor den jüngsten Treffen eine Telefonkonferenz zwischen Salushni und dem Obersten Generalstabschef der USA, General Mark Milley, stattgefunden, zu der auch der britische Admiral zugeschaltet worden war. Bei dieser Gelegenheit habe Milley laut »New York Times« darauf gedrängt, die »Gegenoffensive« auf »eine Hauptfront« zu konzentrieren. Die Teilnehmer entschieden jedoch, das Gespräch besser »von Angesicht zu Angesicht« zu führen, hieß es.
Über den Inhalt der fünfstündigen Stabsbesprechung drangen keine Einzelheiten an die Öffentlichkeit. Inoffizielle Quellen berichten lediglich, daß anschließend »die Strategie der ukrainischen Angriffe« verändert worden sei, die sich nun offenbar stärker auf den Süden des Landes und vor allem die Region Saparoshje und die Krim konzentrieren sollen. Das Treffen soll in einer »sehr herzlichen Atmosphäre« stattgefunden haben, und Radakin habe seinem Freund Salushni wieder eine Flasche »Glenmorangie«, dessen »Lieblingswhisky«, als Geschenk mitgebracht.
Der 57-jährige Radakin, der an drei Einsätzen im Irak teilgenommen hatte, war im Oktober 2021 von Premierminister Boris Johnson zum Chef der britischen Streitkräfte ernannt worden. Laut dem »Guardian« wurde damals »eine Abkehr von den langwierigen Kriegen im Irak und in Afghanistan« vollzogen, um sich »auf ein globales Großbritannien« zu konzentrieren. Dabei ging es um »eine maritime Strategie nach dem Brexit mit einer stärkeren Betonung auf China und der Durchsetzung von Navigationsrechten auf der ganzen Welt, insbesondere gegenüber Peking im weit entfernten Südchinesischen Meer«, berichtet die Zeitung.
Zunächst aber konzentriert man sich offenbar auf einen »Siegkrieg« gegen Rußland. Von Bemühungen um Gespräche über eine Beendigung des Krieges ist jedenfalls in den Berichten keine Rede.