Ausland21. August 2024

Schatten der Vergangenheit

Gedenken für alliierte Landung im August 44 in sehr kleinem Kreis

von Ralf Klingsieck, Paris

Der Einladung von Präsident Emmanuel Macron zur Gedenkzeremonie zum 80. Jahrestag der alliierten Landung an der provenzalischen Mittelmeerküste sind in der vergangenen Woche nur eine Handvoll afrikanischer Staats- und Regierungschefs gefolgt. Der wichtigste von ihnen war der Präsident Kameruns, der 91-jährige Paul Biya. Er ist bereits seit 41 Jahren Staatsoberhaupt des kleinen westafrikanischen Landes, was nicht gerade von vorbildlichen demokratischen Zuständen in der ehemaligen deutschen Kolonie zeugt, die der Völkerbund 1919 unter französische Mandatschaft gestellt hat.

Während der Zeremonie auf dem Soldatenfriedhof von Boulouris-sur-Mer unweit der Mittelmeerstadt Saint-Raphael betonten Macron und Biya in ihren Reden vor allem den Beitrag der Soldaten aus Afrika für die Befreiung Frankreichs von der deutschen faschistischen Besetzung. Entsprechend waren auf dem Friedhof, wo 464 Soldaten ruhen, die am 15. August 1944 bei der Landung ums Leben kamen, die Gräber mit kleinen Fähnchen geschmückt, auf denen der Name und das Geburtsdatum, die Nationalität und die Religion des Toten vermerkt waren. Das machte die Vielfalt der Kämpfer für die Befreiung Frankreichs deutlich.

An der Operation, die in den Geschichtsbüchern und im öffentlichen Bewußtsein zu Unrecht im Schatten der alliierten Landung vom 6. Juni 1944 in der Normandie steht, waren 100.000 US-amerikanische, kanadische und britische Soldaten beteiligt, die den Weg freimachten für die 250.000 französischen Soldaten der 1. Armee des Freien Frankreich unter General Jean de Lattre de Tassigny, die in den folgenden Tagen den Militärhafen Toulon, die Mittelmeerkapitale Marseille und die gesamte südfranzösische Mittelmeerküste erobert und besetzt haben und dann weiter in Richtung Paris gezogen sind.

Dabei handelte es sich um 84.000 in Nordafrika lebende Franzosen, 12.000 Soldaten der nach 1941 in Britannien durch General de Gaulle aufgestellten Einheiten des Freien Frankreich, 12.000 Soldaten von der bereits im Oktober 1943 befreiten Mittelmeerinsel Korsika sowie 130.000 muslimische Soldaten aus Marokko und Algerien und 12.000 aus den subsaharischen Kolonien Frankreichs.

»Ohne den kämpferischen Beitrag und den Blutzoll dieser afrikanischen Soldaten wäre der Sieg des Freien Frankreich und seiner Verbündeten so nicht möglich gewesen und hätte mehr Zeit und Opfer gefordert«, sagte Präsident Paul Biya.

»Frankreich vergißt nichts von dem, was die Völker Afrikas für seine Befreiung von der Besetzung geleistet und welche Opfer sie dafür gebracht haben«, versicherte Emmanuel Macron und schätzte ein, daß »die afrikanischen Kämpfer in den seitdem verstrichenen Jahrzehnten nicht den ihnen zustehenden Ruhm und Dank bekommen haben«. Er bedauerte, daß nur wenige Schulen, Straßen und Plätze in Frankreich die Namen afrikanischer Helden tragen und versicherte, daß man das korrigieren werde.

Dagegen erwähnt Macron mit keinem Wort, welchen Erniedrigungen und anderen Formen von Rassismus die afrikanischen Soldaten seinerzeit nicht nur von Seiten der Bevölkerung, sondern selbst innerhalb der Truppen des Freien Frankreich ausgesetzt waren. So wurden die afrikanischen Soldaten mehr und mehr aus den ersten Reihen der in Richtung Paris marschierenden Truppen abgezogen, ans Ende der Kolonnen beordert und vorn durch weiße Résistance-Kämpfer aus den Reihen der Forces françaises de l’intérieur (FFI) ersetzt.

»Viele Franzosen am Straßenrand konnten wohl den Gedanken nicht verkraften, durch Schwarze befreit worden zu sein«, meint die Historikerin Claire Miot, die zu diesem Thema geforscht und publiziert hat. Ihr Historiker-Kollege Pascal Blanchard macht darauf aufmerksam, daß es auch die US-amerikanischen Verbündeten ungern sahen, daß so viele schwarze Soldaten in den Reihen der Truppen des Freien Frankreich auftauchten. Daraufhin wurde ein Großteil von ihnen aus den kämpfenden Truppen abgezogen und für logistische Aufgaben und Bauarbeiten eingesetzt,

Die dürftige Beteiligung an den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Landung zeugt davon, daß die Beziehungen des offiziellen Frankreich zu den ehemaligen Kolonien in Afrika mehr denn je problematisch sind. Hochrangig vertreten waren nur Gabun, die Komoren, Zentralafrika, Togo und Marokko. Die Militärregierungen von Mali und Niger hatten niemanden geschickt und die von Burkina Faso nur einen Diplomaten.

Boykottiert wurde die Veranstaltung auch durch die Regierung Algeriens, mit der die Beziehungen wieder einmal auf einem Tiefpunkt angekommen sind, weil Frankreich Ende Juli eine Änderung seiner bisher eher zurückhaltenden Position zur Westsahara-Frage in Richtung auf die offizielle Position Marokkos angekündigt hat, worauf Algerien demonstrativ seinen Botschafter in Paris bis auf weiteres abberufen und durch einen Geschäftsträger ersetzt hat.

Für die Militärregierungen in Mali, Burkina Faso und Niger liegt das aktuelle Verhalten auf einer Linie mit der Aufkündigung der einst zur Abwehr des islamistischen Terrorismus eingegangenen politischen und militärischen Zusammenarbeit mit Frankreich. Nicht nur die französischen Militärs wurden seitdem aus dem Land gewiesen, sondern auch fast alle Diplomaten.

Eine wichtige Frage für die abgekühlten Beziehungen aufrikanischer Staaten mit Frankreich ist auch die halbherzige und ungenügend kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialvergangenheit. Betont demütige Gesten, wie sie Präsident Macron in dieser Richtung von Zeit zu Zeit versucht, bleiben isoliert und nur zu oft ohne Wirkung. Beispielsweise ließ der Präsident Ende Juli in Senegal posthum sechs Soldaten als »Für Frankreich gefallen« erklären.

Diese ehemaligen Soldaten waren im Dezember 1944 im Militärlager Thiaroye am Stadtrand der Hautstadt Dakar von ihren Offizieren erschossen worden, weil sie sich nicht ins Zivilleben entlassen ließen, ohne den ihnen noch zustehenden Sold erhalten zu haben. Wie viele senegalesische Soldaten »zur Abschreckung« und zur Eindämmung dieses Aufruhrs erschossen wurden, ist nie geklärt worden. Französische Militärhistoriker haben 35 Fälle dokumentiert, doch die tatsächliche Zahl wird auf mindestens das Zehnfache geschätzt.

Die Geste, daß stellvertretend jetzt sechs von ihnen durch Frankreich geehrt wurden, kam im Senegal nicht gut an. »Es ist nicht an Frankreich, einseitig zu entscheiden, wie viele Afrikaner verraten und ermordet wurden, nachdem sie für seine Befreiung gekämpft hatten«, erklärte der senegalesische Premierminister Ousmane Sonko über die sozialen Medien. Es liegt nahe, hier einen Zusammenhang zum Fernbleiben des senegalesischen Präsidenten Bassirou Diomaye Faye bei den Feierlichkeiten in der Provence zu sehen.

Selbst der Tschad war nicht offiziell vertreten, obwohl das Land zu den letzten Ländern in Afrika zählt, zu denen Frankreich noch gute Beziehungen hat. In Regierungskreisen in N’Djamena ist man immer noch verärgert, weil Anfang des Jahres die für Korruptions- und Finanzbetrugsdelikte zuständige Sonderstaatsanwaltschaft in Paris ein Verfahren gegen den Präsidenten des Tschad, Mahamat Idriss Déby Itno, wegen des Verdachts der Veruntreuung öffentlicher Gelder eingeleitet hat.