Leitartikel18. Januar 2025

Kein Frieden für Gaza in Sicht

von Uli Brockmeyer

Nach langen Verhandlungen und nach mehreren Versuchen, das Erreichte noch zu torpedieren, hat Israels Führung am Freitag dem Abkommen mit der Hamas für eine Waffenruhe im Gazastreifen zugestimmt. Damit ist noch nicht gesagt, ob die Vereinbarung am Sonntag wie angekündigt tatsächlich in Kraft tritt. Und niemand kann voraussehen, wie viele Menschen dem Terror der israelischen Armee bis dahin noch zum Opfer fallen, wie viele Schäden an der Infrastruktur im ohnehin bis zur Unkenntlichkeit zerstörten Gazastreifen noch durch Beschuß und Luftangriffe angerichtet werden.

Es ist zu früh für eine Bilanz. Aber es ist an der Zeit, erneut das Verbrechen des Völkermords durch den Aggressor Israel aufzuzeigen. Laut palästinensischen Angaben wurden seit dem 7. Oktober 2023 bis zum 14. Januar 2025 46.645 Palästinenser getötet und 110.012 verletzt. Gezählt wurden »nur« die Todesopfer, deren Identifikationsdaten dokumentiert wurden. Nach Erkenntnissen der London School of Hygiene & Tropical Medicine (LSHTM) liegt die Zahl der Toten und Verletzten etwa um 40 Prozent höher.

Es ist auch an der Zeit, die Heuchelei anzuprangern, die mit Medienberichten seit dem 7. Oktober 2023 über uns ergossen wird. In den Berichten über die jüngsten Verhandlungen ist immer die Rede von einem Austausch von Geiseln gegen palästinensische Häftlinge. Dabei wird wissentlich verschwiegen, daß mehrere tausend Palästinenser in israelischen Kerkern festgehalten werden, und daß es sich in den meisten Fällen eben nicht um Häftlinge handelt, die von Gerichten zu einer Haft-Strafe verurteilt wurden, sondern um Menschen, die nicht nur ohne Urteil, sondern auch ohne Anklage in Gefängnisse gesteckt wurden.

Es ist menschlich richtig, Mitleid zu haben mit den Menschen, die an jenem 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppt wurden, um Gefangene freizupressen. Aber es ist zutiefst inhuman, für die angebliche Befreiung dieser Menschen zehntausende Todesopfer in Gaza billigend in Kauf zu nehmen. Niemand hat das Recht, israelisches Leid mit palästinensischem Leid aufzuwiegen, und schon gar nicht, das Leid der Palästinenser geringer zu schätzen oder gar zu ignorieren.

Es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Verbrechen Israels nur möglich waren und sind, weil Politiker des »Werte«-Westens nicht nur weggesehen, sondern dieses völkermörderische Vorgehen unterstützt haben – viele von ihnen auch durch Waffenlieferungen und durch die gebetsmühlenartig wiederholte Betonung von Israels »Recht auf Selbstverteidigung«. Auch unsere Regierung hat nichts unternommen, um die Beachtung der zahlreichen Beschlüsse der UNO zu fordern, und man weigert sich mit höchst fadenscheinigen Begründungen bis heute, das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat entsprechend dem Völkerrecht anzuerkennen.

Selbst wenn Israel am Sonntag tatsächlich die Angriffe einstellen sollte, gibt es noch lange keinen Frieden. Der ist erst möglich, wenn das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat weltweit, vor allem aber von Israel und den USA völkerrechtlich anerkannt wird, und wenn die politischen Bedingungen geschaffen sind, eigene staatliche Strukturen aufzubauen, ohne Einmischung von außen. Immerhin ist es nicht vergessen, daß die heftig bekämpfte Hamas erst mit aktiver Hilfe der Geheimdienste Israels und der USA geschaffen wurde, um Meinungsverschiedenheiten bei den palästinensischen Bewegungen auszunutzen und den gerechten Kampf um einen eigenen Staat zu behindern.

Waffenruhe bedeutet nicht Frieden. Für den Frieden sind weitere Anstrengungen notwendig, daher darf die Bewegung der Solidarität mit dem Volk von Palästina nicht nachlassen.