Syrien unter Druck
Israel bombardiert erneut Ziele in Syrien
Während die arabischen Staaten dem Land wieder auf die Beine helfen wollen, bleibt die UNO machtlos und unterfinanziert. USA, EU und Verbündete machen weiter Druck
Die Nachbarstaaten Syriens und Staaten der Region arbeiten seit der Rückkehr des Landes in die Arabische Liga an einer politischen und wirtschaftlichen Verbesserung der Beziehungen. Am Montag traf der der jordanische Außenminister und stellvertretende Ministerpräsident Ayman Safadi in Damaskus ein, wo er sich mit dem syrischen Präsidenten Baschar al Assad traf. Nach Berichten des jordanischen Außenministeriums sollte der Ausbau der bilateralen Beziehungen beider Länder besprochen werden.
Jordanien sucht – wie auch der Libanon – nach Möglichkeiten, daß syrische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können. Ein weiteres Thema wird voraussichtlich der anhaltende Waffenschmuggel über die Grenze zwischen beiden Ländern sein. Syrien wird zudem vorgehalten, Drogenschmuggel nur unzureichend zu bekämpfen.
Jordanien hatte sich für die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga im Mai 2023 eingesetzt. Als Beobachterstaat nimmt Jordanien auch an den Astana Treffen teil, die unter der Schirmherrschaft von Rußland, der Türkei und des Iran daran arbeiten, einen Teil der innersyrischen Regierungsgegner und die syrische Regierung miteinander ins Gespräch zu bringen. Auch der Libanon und der Irak nehmen an den Astana-Gesprächen teil. Weitere Teilnehmer sind das Büro des UNO-Sonderbeauftragten für Syrien Geir O. Pedersen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Das bisher letzte Astana-Treffen hatte am 20./21.06.2023 in Kasachstan stattgefunden.
Israel bombardiert weiter
Israel setzt dagegen weiter auf Konfrontation gegen Syrien. In den ersten Stunden des Sonntag bombardierten israelische Kampfjets militärische Stellungen bei Homs und bei Tartus.
Die syrischen Flugabwehrkräfte hätten den »Akt israelischer Aggression mit Raketen abgewehrt«, hieß es in einer knappen Erklärung des syrischen Verteidigungsministeriums in Damaskus am Sonntagmorgen. Der feindliche israelische Angriff auf einige Stellungen im Umland von Homs sei gegen 0.30 Uhr in der Nacht zum Sonntag aus dem Nordosten von Beirut erfolgt, hieß es. Der Angriff sei abgewehrt worden, es habe Sachschaden gegeben.
Die in Britannien ansässige »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte«, die sowohl der syrischen Opposition als auch der britischen Regierung nahesteht, hatte anderes zu berichten. Neun Personen (seien) »getötet und verletzt« worden, teilte die Einrichtung am Sonntagmorgen mit. Die meisten von ihnen seien Angehörige »Iranischer Milizen«. Ziel des Angriffs sei ein Munitionslager sowie die 200. Luftverteidigungsbasis in Al Qadmous, im Umland von Tartus gewesen, erklärte die »Beobachtungsstelle«. Die syrische Luftverteidigung habe den Angriff nicht abwehren können, wird behauptet, und alle Raketen hätten die Ziele erreicht.
Westliche Medien übernahmen im Wesentlichen die Darstellung der »Beobachtungsstelle«. AP berichtete, daß Trümmerteile einer von Israel abgeschossenen syrischen Luftabwehrrakete offenbar über israelischem Gebiet in dem Ort Rahat im Süden des von Israel besetzten Westjordanlandes niedergegangen seien. Die israelische Armee habe daraufhin einen weiteren Angriff gegen Syrien gestartet.
Die UNO ist machtlos und unterfinanziert
Am vergangenen Donnerstag hatte der UNO-Sicherheitsrat sich turnusgemäß mit der humanitären Lage in Syrien befaßt. Najat Rochdi, Stellvertreterin des UNO-Sonderbeauftragten für Syrien Geir O. Pedersen beschrieb eine sich verschlechternde Lage, ging auf die Gespräche in Genf und Astana ein und forderte die Verlängerung der grenzübergreifenden Hilfe aus der Türkei für Idlib für zwölf Monate. Die aktuelle Regelung läuft am 10. Juli 2023 aus.
Martin Griffiths, stellvertretender UNO-Generalsekretär für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinator (OCHA), berichtete über seine jüngste Reise nach Syrien und sein Gespräch mit dem syrischen Präsidenten Baschar al Assad. 90 Prozent der Bevölkerung lebten unter der Armutsgrenze von 1 US-Dollar pro Tag, erklärte Griffiths: »Die Menschen in Syrien müssen mehr ertragen, als wir uns wirklich vorstellen können«, sagte er. Der Hilfsplan der UNO für die humanitäre Nothilfe für Syrien 2023 benötige 5,4 Milliarden US-Dollar, so Griffiths weiter. Er sei bisher zu weniger als 12 Prozent finanziert.
In der Aussprache wurde erneut eine Indifferenz der Sicherheitsratsmitglieder deutlich. Die westlichen Ständigen Mitgliedstaaten und andere forderten die Verlängerung der grenzübergreifenden Hilfslieferungen und die Fortsetzung der Arbeit des verfassungsgebenden Komitees unter dem Dach der Organisation der Vereinten Nationen in Genf, die seit vier Jahren stagniert. Rußland bezeichnete dagegen das immer wiederkehrende Thema der grenzüberschreitenden Hilfe als »scheinheilige westliche Propaganda«. Ihnen sei sehr wohl bekannt, daß es eine Alternative zu der Maßnahme gebe, die die syrische Souveränität und staatliche Integrität seit Jahren außer Kraft setze.
Die Hilfe könne über die die innersyrischen Kontaktlinien geleistet werden, sagte der russische Botschafter bei der UNO. Dann müsse niemand Hunger leiden und Angst vor dem Winter haben. Auch der chinesische Botschafter bezeichnete die grenzüberschreitenden Hilfslieferungen als »außergewöhnliche Maßnahme«, die zu Ende gehen müsse. Zudem sei unverständlich, daß einige Staaten so besorgt über die humanitäre Lage in Syrien seien, gleichzeitig aber selber einseitige wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen Syrien verhängt hätten. Das verschärfe die prekäre Lage im Land und sei nichts anderes, als wenn man »so tut, als würde man einen Patienten wiederbeleben, ohne den Würgegriff am Hals des Patienten zu lockern«.
EU, USA und Partner beharren auf Isolation Syriens
Der USA-Vertreter im Sicherheitsrat sagte, die wieder aufgeflammten Angriffe erinnerten alle an die »lange Geschichte von (Rußlands) Gewalt gegen die Syrer«. »Das Assad-Regime« behindere den Zugang der UNO-Organisationen, daher müßten die grenzüberschreitenden Hilfslieferungen (nach Idlib) um ein Jahr verlängert werden.
Der syrische Botschafter bei der UNO verwies auf die Maßnahmen, die die syrische Regierung unmittelbar nach dem Erdbeben vom 6. Februar 2023 ergriffen hat. Zahlreiche Einreisevisa für humanitäre Arbeiter seien in kürzester Zeit genehmigt worden, der Transport der UNO-Hilfsgüter sei beschleunigt worden. Allerdings sei es schwierig gewesen, die Menschen jenseits der Kontaktlinien zu erreichen. Die bewaffneten Gruppen der Regierungsgegner, die fortgesetzten Terror gegen die eigene Bevölkerung ausüben, hätten aber lediglich einen der Konvois passieren lassen. Die einseitigen wirtschaftlichen Sanktionen der EU und der USA verschlechterten die Lage im Land und Syrien sei von der Brüsseler »Geberkonferenz« ausgeschlossen worden.
Die Bemühungen zur weiteren Isolation Syriens in den regionalen und internationalen Beziehungen, an denen die Staaten des Westens festhalten, zeigten sich auch am vergangenen Freitag in der UNO-Generalversammlung. Luxemburg legte im Auftrag zahlreicher anderer Staaten, der EU-Staaten und der USA eine Resolution vor. Darin wird der UNO-Generalsekretär aufgefordert, eine unabhängige Untersuchungskommission der UNO einzusetzen, die nach dem Verbleib von Verschwundenen in Syrien forschen solle. Zahlreiche staatliche und nicht-staatliche Hilfsorganisationen hatten dafür geworben.
Die Resolution (A/77/L.79) wurde mit 83 Stimmen angenommen, bei 62 Stimmenhaltungen und 11 Gegenstimmen. Auch Syrien stimmte gegen die Resolution, weil die Autoren des Antrags sich mit Syrien nicht – wir normalerweise üblich – über den Inhalt der Resolution verständigt hatten.