Leitartikel31. August 2024

Comparaison n’est pas raison – Zum 31. August 1942

von Alain Herman

Aus Protest gegen die Zwangsrekrutierung von Luxemburgern in die faschistische Wehrmacht legten am 31. August 1942 rund 700 Arbeiter der Lederfabrik »Ideal« in Wiltz die Arbeit nieder. In einer Wellenbewegung schwappte der Arbeitskampf, den die Resistenz angebahnt hatte, über das ganze Land. Mit der Bestreikung der Schlüsselbetriebe und Verwaltungen in den beiden ersten Septembertagen erhielt der Widerstand nationalen Charakter. In einer Epoche, in welcher die Weltkriegsfrage eine traurige Brisanz offenbart, ist es besonders wichtig, dass die Gedenkfeiern zum Generalstreik von 1942 mit der gebührenden Würde abgehalten werden. Gerade für die Gewerkschaften, die Friedensbewegung und die progressiven Kräfte Luxemburgs erweist sich der 31. August als Fanal.

In der gegenwärtigen Phase globaler imperialistischer Machtkämpfe gegen multipolare Bestrebungen, die sich immer mehr, um mit Antonio Gramsci zu sprechen, als eine »Zeit der Monster« entpuppt, in der das Alte stirbt und das Neue noch nicht zur Welt kommen kann, werden solche Gedenktage von bürgerlichen Politikern und offiziellen »devoir de mémoire«-Verbänden als Gelegenheit genutzt, um einerseits vor den Gefahren des erstarkenden Rechtsextremismus zu warnen – das ist lobenswert –, andererseits wird hierbei bewusst vermieden, auf den wirtschaftspolitischen Schoß, aus dem die menschenverachtende Bewegung des Faschismus gekrochen ist, einzugehen. In Existenzkrisen haben Großkapitalisten, auch über 1945 hinweg, auf faschistische Reservoirs zurückgegriffen.

Hochkonjunktur haben anlässlich dieser Erinnerungszeremonien im Kontext der euroatlantischen Militarisierung sowie der propagandistischen Mobilisierung gegen neue alte Feinde in »Ost« und »Fernost« groteske historische Vergleiche, die aus einem rein mechanistischen Verständnis von Geschichte resultieren. Der Mangel an dialektischer Zusammenschau führt u.a. schnell zu schiefen Parallelisierungen mit dem aktuellen Krieg in Osteuropa. Letztlich erweist sich derartiges Argumentieren als Verharmlosung des historischen Nazismus, es verschweigt die kapitalistische Basis dieser Herrschaftsform und den damit verbundenen imperialistischen Eroberungs- und Vernichtungskrieg.

Aus diesem Grund sollte man auch den 31. August 1942 nicht geschichtsklitternd missbrauchen, indem man ihn als Aufhänger für verquere historisch-geopolitische Ausführungen verwendet, insbesondere wenn diese vom Ungeist des westlichen »Exzeptionalismus« getragen werden. Derartige Interpretationen gehen, wie der Faschismusforscher Kurt Pätzold schrieb, »mit einer Unterschätzung des Grades einher, in dem Europas Bürger Teil einer Welt sind und folglich mit ihren reichen Mitteln sorgen müssten, dass der Erdball total befriedet wird, statt nach eigenen Vorteilsrechnungen Konflikte und Kriege durch Parteinahmen anzuheizen oder sie durch Waffenlieferungen am Leben zu erhalten und zu verlängern.« Im Zuge eines solchen ideologischen Überbaus vermag sogar »Fälscherarbeit« (Pätzold) gut zu gedeihen, diese kann – ohne dass es die »Verteidiger« der universalen Menschenrechte in den Machtgremien der EU und NATO stört – gar so weit gehen, dass an die Stelle einer antifaschistischen Ausrichtung die offiziöse Heiligsprechung von Kollaborateuren und Mordbrennern des Hitlerfaschismus tritt, so z.B. in den baltischen Ländern oder in der Ukraine.

Der Generalstreik der Luxemburger Schaffenden sollte als das geehrt werden, was er in Wirklichkeit war, nämlich als friedlicher Akt der Solidarität gegen nazistische Willkür und Kriegspolitik, als Quelle der Inspiration für die zukünftigen Engagements mit den Mitteln des resoluten Arbeitskampfes gegen Verhetzung, Aufrüstung und Atomkriegsgefahr.