Angriff auf das Demonstrations- und Versammlungsrecht
Was ist das für eine Zeit, in der ein Gespräch über Versammlungsfreiheit fast ein Verbrechen ist?
CSV-Innenminister Léon Gloden hat ein »Avant-projet de loi« ausarbeiten lassen, welches die Meinungsfreiheit hierzulande stark einschränken und die Organisatoren und Teilnehmer von politischen und sozialen Demonstrationen regelrecht abschrecken soll, wenn es denn als Gesetzesprojekt den Weg in die Chamber finden und dort von der Mehrheit der Abgeordneten gestimmt würde.
In dem Gesetzesvorentwurf wird verfügt, dass Organisatoren von Demonstrationen einen Genehmigungsantrag fünf Tage vor einer Demonstration beim Bürgermeister / bei der Bürgermeisterin der betreffenden Gemeinde stellen und einen Fragebogen genauestens ausfüllen müssen, ansonsten der Antrag ungültig ist. Wird zum Beispiel darauf verzichtet, die zu erwartende Zahl der Teilnehmer anzugeben, weil das schier unmöglich ist, soll der Antrag als ungültig abgeheftet werden.
Weiter steht im Vorentwurf, dass die Verwaltung einen Antrag innerhalb eines Tages beantworten muss (heute dauert es oft Wochen!). Wenn der Bürgermeister / die Bürgermeisterin aber vier Tage lang nichts von sich hören lässt, gilt der Antrag als abgelehnt. Die Demonstration, der in jedem Fall Vorbereitungsarbeiten vorangehen, und sei es nur, dass Plakatschilder gedruckt oder bemalt werden und Flugzettel verteilt werden, gilt quasi als verboten.
Das ist die reinste Willkür, die es möglich macht, die Versammlungsfreiheit praktisch außer Kraft zu setzen und sich unbequemer politischer Meinungen mit administrativen Mitteln zu entledigen. Das Prinzip des »Silence vaut accord«, mit dem sich das Wirtschafts- und das Wohnungsbauministerium noch vor kurzem ein fortschrittliches Mäntelchen umhängen wollten, wird kurzerhand in »Silence vaut désaccord« umgedreht.
Doch es kommt noch heftiger. Wer als Organisator dennoch von seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch macht und trotz eines fehlenden Bescheids seitens der Verwaltung manifestiert, wird laut CSV-Minister Gloden zwischen 500 und 7.500 Euro bezahlen müssen. Wird eine nichtgenehmigte Demonstration zu einer nicht näher definierten »Zusammenrottung« (»un attroupement«) erklärt, darf die Polizei dreinschlagen, wenn die Demonstranten trotz zweifacher Aufforderung nicht auseinandergehen.
Die Rechtfertigung, angesichts der ausgeuferten Proteste von Impfgegnern während der Covid-Epidemie wolle man der Polizei mehr Handlungsspielraum verschaffen, ist mit den Haaren herbeigezogen, denn damals wie heute gibt es – auch ohne rechtswidrige Gewalt anzuwenden und Menschen während Stunden einzukesseln, wie das damals der Fall war – ausreichend Rechtsmittel, um »die öffentliche Ordnung zu schützen«.
Doch den Anhängern von »Recht und Ordnung« geht das nicht weit genug. Sie haben es darauf abgesehen, das Demonstrations- und Versammlungsrecht generell einzuschränken und die »bürgerliche Demokratie«, die auf der Grundlage der kapitalistischen Ausbeutergesellschaft funktioniert, welche zunehmend von Krisen erschüttert wird, näher an einen Polizeistaat heranzuführen.
Richtig ist es, vom CSV-Innenminister zu fordern, den Gesetzesvorentwurf sofort in der Versenkung verschwinden zu lassen, aber damit kann es nicht getan sein, denn dadurch werden sich die auf die Einschränkung der Bürgerrechte ausgerichteten Gewaltphantasien im Zusammenhang mit dem Demonstrations- und Versammlungsrecht keineswegs in Luft auflösen.
Wehret den Anfängen!