Leitartikel03. Januar 2019

Kein bißchen Frieden

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In der Ukraine war der 1. Januar kein gewöhnlicher staatlicher Feiertag. Abgesehen von Neujahr gedachte Kiew des 110. Geburtstags des Nazikollaborateurs Stepan Bandera. Diesen Beschluß hatte das dortige Parlament noch im vergangen Jahr gefaßt – und Tausende Neonazis und Angehörige paramilitärischer Verbände folgten am Neujahrstag in einem Fackelzug durch die Straßen Kiews.

Die Nationalistenhochburg Lwiw hat sogar das gesamte Jahr 2019 kurzerhand zum »Bandera-Jahr« erklärt. Auf dem dortigen Bandera-Gedenkappell sprach Lwiws Bürgermeister und Präsident der im Westen regelmäßig als »reformorientiert« eingestuften Partei Samopomitsch (»Selbsthilfe«), Andrij Sadowyj.

Der bedauerte zu Füßen des örtlichen überlebensgroßen Bandera-Denkmals, daß der Führer der Ukrainischen Aufstandsarmee während des Zweiten Weltkriegs leider nicht in der ganzen Ukraine »so leidenschaftlich verehrt« werde wie in Lwiw. Dessen Einwohner könnten aber »Vorbild für das ganze Land« sein, so der vermeintlich liberale Hoffnungsträger des Westens am Dienstag in seiner Festansprache.
Gleich zwei Festzüge gab es am Neujahrstag in Kiew. Dort hatte die »Allukrainische Vereinigung ‚Swoboda’« (»Freiheit«) zu einem schon traditionellen Fackelzug aufgerufen, an dem abermals mehrere tausend Personen teilnahmen, die unverhohlen Morddrohungen wie »Tod den Feinden der Nation!« skandierten.

Parallel dazu marschierten einige hundert meist junge Leute in Kampfanzügen und Nikolausmützen durch Kiew, die einem Aufruf der »Nationalen Gefolgschaft«, der Jugendorganisation des paramilitärischen Regiments »Asow«, gefolgt waren. Diese im Krieg gegen die international nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk offiziell dem Kiewer Innenministerium unterstellte Einheit zieht heute unter der berüchtigten Wolfsangel, dem gespiegelten Emblem der SS-Panzerdivision »Das Reich«, ins Feld.

Wie erwartet wurde am Neujahrstag auch der Gruß der ukrainischen Faschisten im Zweiten Weltkrieg, »Ruhm der Ukraine! Ruhm den Helden!« gegrölt, nachdem die Parole bereits im Oktober zum offiziellen Gruß des ukrainischen Militärs erklärt worden war.

Banderas »Ukrainische Aufstandsarmee« (UPA) hatte sich nach dem Überfall Hitlerdeutschlands aus desertierten Angehörigen der ukrainischen Hilfspolizei gebildet, die die Nazibesatzer zur Sicherung ihres »Hinterlandes« zugelassen hatten. Seit 1941 begingen sie unter Duldung von Naziwehrmacht und SS Pogrome an der jüdischen Bevölkerung. Ihr Ziel war eine »unabhängige Ukraine«.

Das offizielle Bandera-Gedenken wird die Konfliktlinien in der von Krieg und Wirtschaftskrise zerrütteten Ukraine weiter vertiefen. Denn im Süden und Osten des Landes existiert nach wie vor ein positiver Bezug zum sowjetischen Erbe, der über die russischsprachigen Ukrainer im Donbass hinausreicht. Dort ist der aufopferungsvolle Kampf des sowjetischen Volkes gegen die faschistischen Invasoren fester Bestandteil der Alltags- und Gedenkkultur. Solange Kiew den Krieg im Land als »russische Intervention« darstellt, kann es im Donezkbecken keinen Frieden geben. Eine neue Waffenruhe zum Jahreswechsel sollen ukrainische Soldaten schon nach zehn Minuten gebrochen haben.

Oliver Wagner