Biden und Netanjahu hinterlassen Schutt und Asche in Palästina
»Biden steigt aus, Netanjahu fliegt ein«
So lautet eine Überschrift in der englischsprachigen Presse über den Netanjahu-Besuch in Washington. Vor dem Abflug aus Tel Aviv am Montag ließ der israelische Ministerpräsident sich mit Beratern und Begleitern ablichten, bevor sie gemeinsam die israelische Regierungsmaschine bestiegen.
»Egal wen die Amerikaner zum nächsten Präsidenten wählen, Israel wird ihr unverzichtbarer und starker Verbündeter im Mittleren Osten bleiben«, so Netanjahu vor ausgewählten Journalisten. Für die USA und Israel gelte es, die gleichen Ziele zu erreichen: Die Freilassung aller Geiseln, die Zerschlagung der Hamas, die Konfrontation mit der »Achse des Terrors des Iran« und die Rückkehr aller israelischen Bürger in ihre Häuser und Wohnungen im Norden und Süden Israels.
Netanjahu genehmigte noch vor seiner Abreise die Entsendung einer Verhandlungsdelegation nach Doha (Katar), die vom Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, vom Oberkommandierenden der Streitkräfte Herzi Havlevi und von Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar angeführt wird.
Israels Botschaft: Schutt und Asche
Die Zahl der Toten durch israelische Angriffe in Gaza steigt täglich um Dutzende und hat die Zahl von 39.000 überstiegen. Die israelische Armee greift gezielt Gebiete an, die sie zuvor den Inlandsvertriebenen als »sichere Zonen« zugewiesen hat. Wohnhäuser, UNO-Schulen, in denen Menschen Zuflucht suchen, werden bombardiert, Zeltlager, Krankenhäuser, UNO-Hilfskonvois, deren Fahrt von der israelischen Seite genehmigt worden war, Ambulanzfahrzeuge, Rettungssanitäter, Journalisten – nichts und niemand ist vor dem israelischen Bombenhagel sicher.
Zum Einsatz kommen 500- und 1000 Pfund schwere Bomben, die weiter von den USA geliefert werden. Viele davon sind mit einem System der künstlichen Intelligenz (KI) – genannt »Paradies« – ausgestattet. Ist das eingegebene Ziel auch nur eine Person, sorgt die KI dafür, daß Dutzende weitere Menschen im Umkreis garantiert ebenfalls getötet werden.
Die israelische Armee kündigte noch am Tag von Netanjahus‘ Abreise an, neue Angriffe gegen die bereits massiv zerstörte Stadt Khan Younis zu beginnen. Sie forderte mehr als 400.000 Menschen im Ostteil der Stadt auf, das Gebiet zu verlassen, um nur 15 Minuten später mit Artillerie und Kampfjets anzugreifen, wie Journalisten berichteten.
Die Journalisten hielten die überstürzte Flucht der Menschen in Bildern und Videos fest, die an eine regelrechte Menschenjagd erinnern. Die israelische Luftwaffe habe mehr als 50 Ziele bombardiert, die – so die israelische Armee – von palästinensischen Kämpfern benutzt worden seien. Belege für derartige Behauptungen gibt es nicht. Gleichzeitig rückten Panzer der 98. Division in die Stadt vor. Innerhalb von 24 Stunden wurden mehr als 81 Männer, Frauen und Kinder getötet. Die israelische Armee griff auch in Gaza und Rafah weiter an.
Im besetzten Westjordanland verschärfen israelische Besatzungstruppen mit Unterstützung von Siedlern die Angriffe auf palästinensische Orte, Flüchtlingslager und Infrastruktur. Am Dienstag meldeten Journalisten vor Ort, daß südlich von Hebron israelische Armeefahrzeuge mit schwerem Abrißgerät in den Ort Wadi al-Jawaya gefahren sei, um Häuser von Palästinensern einzureißen. Im Flüchtlingslager Tulkarem hält eine israelische Militärrazzia seit Montag an, dabei haben die Streitkräfte Straßen, Fahrzeuge, Geschäfte, Häuser mit Bulldozern zerstört.
Die Zahl der Toten im besetzten Westjordanland stieg nach Angaben der UNO-Nothilfekoordination (OCHA) seit Beginn des Krieges am 7. Oktober 2023 auf 554 Palästinenser. Von diesen wurden 539 vom israelischen Militär getötet, zehn von Siedlern und bei sieben Getöteten ist unklar, ob sie von israelischen Soldaten oder Siedlern umgebracht wurden. Im gleichen Zeitraum starben im Westjordanland 14 Israels bei Angriffen von Palästinensern, neun waren Soldaten und fünf waren Siedler, so der OCHA-Bericht vom 15. Juli 2024.
In Israel wurden acht Personen bei Angriffen von Palästinensern getötet, vier dieser sofort Palästinenser wurden erschossen. UNICEF gibt an, daß seit dem 7. Oktober 2023 bei israelischen Angriffen und Razzien im Westjordanland 143 Kinder getötet worden seien. 440 Kinder seien im gleichen Zeitraum durch Schüsse verletzt worden.
Netanjahu weist Verantwortung von sich
Netanjahu ignoriert nicht nur das komplett völkerrechtswidrige Vorgehen der israelischen Armee gegen ungeschützte Zivilisten in Gaza und im Westjordanland und die Verwüstung ziviler Infrastruktur, er weist auch jede Verantwortung für den Tod israelischer Geiseln durch israelisches Bombardement zurück. Seit Monaten verzögert der israelische Ministerpräsident eine Verhandlungslösung und beharrt weiter auf seinem Credo, die Geiseln kämen nur frei, wenn die Hamas vernichtet und der Krieg gewonnen sei.
Ungerührt ist Netanjahu angesichts von anhaltenden Massenprotesten von Israelis, die eine Verhandlungslösung und einen Waffenstillstand fordern, ungerührt ignoriert er auch sämtliche Forderungen aus dem Weißen Haus: Er verweigert humanitäre Hilfe nach Gaza, läßt die Armee Rafah in Schutt und Asche bomben.
Daß die USA trotz öffentlich geäußerter Kritik an Netanjahu und dem Vorgehen der Armee weiter Waffen und Munition im Wert von mehr als 200 Milliarden US-Dollar liefern, Aufklärungsdaten zur Verfügung stellen und Sicherheitsversprechen abgeben, läßt den Schluß zu, daß Netanjahu sich seiner Sache sicher sein kann.
Die Biden-Administration hat dem Vorgehen gegen die Palästinenser zugestimmt, weil es ihr nicht um Palästina und seine Bewohner geht, sondern um Geopolitik. Die Kontrolle der Region muß im Interesse der USA erhalten bleiben. Darum versichert Washington Netanjahu immer wieder »unerschütterliche Unterstützung«, den »ironclad support« für die israelische »Fabrik für Massenmorde« – so der Titel eines Berichts des israelischen Internetportals www.972.mag.com. Darum geht die kalkulierte Bombardierung und Ermordung der Menschen in Palästina weiter.
Weder die USA noch Israel zeigen sich von Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs beeindruckt. Ob Völkermordanklage, Haftbefehle oder die jüngste Entscheidung des IGH, daß die israelische Besatzung in Palästina illegal ist und daß der UNO-Sicherheitsrat und die Staaten der Welt ihre Politik gegenüber Israel entsprechend ändern müssen – alle Entscheidungen prallen an den entrückten Führern und angeblich »auserwählten« Weltenlenkern ab.
»Eine Region in Flammen«
Noch bevor die israelische Regierungsmaschine in Richtung Washington abhob, hatten israelische Kampfjets in der jemenitischen Hafenstadt Hudeidah Öltanks und ein Kraftwerk bombardiert. Man »reagiere« auf den Drohnenangriff in Tel Aviv, so die Begründung der israelischen Armee. Für den Angriff hatten die jemenitischen Houthis die Verantwortung übernommen. Sie fordern, wie die libanesische Hisbollah und der islamische Widerstand im Irak, einen Waffenstillstand in Gaza, dann würden auch sie ihre Angriffe einstellen.
Die Flammen seien »in der ganzen Region zu sehen«, sagte der israelische Kriegsminister Yoav Gallant voller Stolz. Sie seien eine Warnung an alle, die Israel angriffen. Netanjahu sprach von dem »langen Arm Israels«, der »alle Feinde des Landes überall« treffe.
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie der Krieg gegen Gaza sich wenden kann. Entweder Israel stimmt einer Verhandlungslösung und einem Waffenstillstand zu, dann schweigen alle Waffen in der Region. Oder der Krieg eskaliert weiter und wird Israel selbst und USA-Militärbasen in Syrien, Irak, am Golf zu Schlachtorten machen.
Joe Biden und Benjamin Netanjahu, die seit Jahrzehnten die Vernichtung Palästinas forciert haben, sind zwei Politiker im Abstieg. Biden, ein bekennender Zionist, zieht sich aus dem aktuellen Wahlkampf um das Weiße Haus zurück und Netanjahu wird schließlich wegen Korruption und Verantwortung für viele tote Israelis am 7. Oktober 2023, wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, um nur einiges zu nennen, in einer Gefängniszelle landen.
Der israelische »Channel 12« gab eine Umfrage in Auftrag, die ergab, daß 72 Prozent der Israels den Rücktritt von Netanjahu wollen. Sein Abflug aus Tel Aviv war von Massenprotesten gegen ihn begleitet, und auch in Washington sind große Demonstrationen gegen den israelischen Premier und den israelischen Angriffskrieg gegen Gaza geplant.
Netanjahu bereitet sich derweil auf seine Rede vor beiden Kammern des USA-Kongresses am heutigen Mittwoch vor. Zum vierten Mal ist er eingeladen worden, dort zu sprechen, und Berichten zufolge werden wieder »standing ovations« für den Mann aus Tel Aviv vorbereitet. Es bleibt abzuwarten, wie viele Abgeordnete – zumindest von der Demokratischen Partei – dem Netanjahu-Auftritt fernbleiben werden.