»Begraben mit ihren Träumen und den Albträumen«
Waffenruhe zwischen Israel und Palästinensern. Freude und Trauer in Gaza
Israel und die Palästinenser haben sich auf eine Waffenruhe geeinigt. Vermittelt wurde das durch Ägypten. Laut Berichten sollten die Waffen ab 2 Uhr Freitagmorgen schweigen. Ägypten wollte Delegationen in den Gazastreifen entsenden, um die Waffenruhe zu kontrollieren.
Die Hamas bestätigte, sie habe von Israel die »Garantie«, daß Provokationen Israels in Ostjerusalem gestoppt würden. Der Hamasvertreter Osama Hamdan bestätigte gegenüber dem Nachrichtensender Al Mayadeen, man habe »Garantien« erhalten, daß »Aggressionen Israels auf die Al Aksa Moschee und Scheich Jarrah beendet« werden. Einzelheiten nannte er nicht. Von israelischer Seite hieß es, der Waffenstillstand sei »ohne Vorbedingungen« getroffen worden. Die Äußerung von Osama Hamdan wurde von israelischer Seite als »komplette Lüge« bezeichnet.
Das israelische Sicherheitskabinett hatte nach Angaben der israelischen Tageszeitung »Haaretz« der Vereinbarung auf der Basis von »Ruhe für Ruhe« zugestimmt. Dieser Entscheidung vorausgegangen waren Äußerungen der USA-Administration, wonach Israel einem Ende der Kämpfe zustimmen müsse, wenn es nicht die internationale Unterstützung verlieren wolle. Sollte Israel nicht sofort einer Waffenruhe zustimmen, werde das Konsequenzen haben, hatte »Haaretz« geschrieben. Sollte Israel seine Angriffe nicht einstellen, werde das »scharfe internationale Kritik und die Verurteilung von Israel im UNO-Sicherheitsrat und in anderen internationalen Gremien zur Folge haben«. Die USA hatten zuvor bereits vier Mal im UNO-Sicherheitsrat eine gemeinsame Erklärung für ein sofortiges Endes des Krieges blockiert.
UNO fordert ernsthaften Dialog
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres begrüßte den Waffenstillstand und sprach den Opfern der Gewalt und ihren Angehörigen sein Mitgefühl aus. Ausdrücklich bedankte er sich bei Ägypten und Katar, die in enger Absprache mit der UNO den Waffenstillstand zwischen den Kriegsparteien ausgehandelt hatten. Die internationale Staatengemeinschaft müsse mit den UNO-Organisationen ein »robustes Unterstützungspaket« für den raschen Wiederaufbau ausarbeiten, um »die Palästinenser und ihre Institutionen zu stärken«. Darüber hinaus seien die politischen Führer in Israel und der Palästinenser verantwortlich für die Wiederaufnahme eines »ernsthaften Dialogs, um die Wurzeln des Konflikts anzugehen«, so Guterres.
Der Gazastreifen sei »integraler Teil« des zukünftigen Staates Palästina, nationale Versöhnung der Palästinenser müsse erreicht werden, betonte Guterres. Er unterstrich zugleich die Bedeutung des »Nahost-Quartetts« – UNO, EU, USA, Rußland – und die Notwendigkeit der Umsetzung einer Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967. UNO-Resolutionen, das Völkerrecht und gegenseitige Abkommen müßten eingehalten werden.
Der EU-Außenbeauftragte Joseph Borell faßte sich kurz. Die EU begrüße den Waffenstillstand und die Anstrengungen aller, die dazu beigetragen hätten. Man bedauere die Opfer der vergangenen 11 Tage und habe immer wiederholt, daß die Situation im Gazastreifen seit langem untragbar sei. Alles müsse getan werden, um die Zweistaatenlösung zu erreichen. Die EU werde – auch innerhalb des Nahost-Quartetts sowohl die Israelis als auch die Palästinenser dabei unterstützen.
USA-Präsident Joe Biden bestätigte, die USA würden das Luftabwehrsystem »Iron Dome« wieder aufrüsten, zusätzlich soll Präzisionsmunition des Rüstungskonzerns Boeing im Wert von 735 Millionen US-Dollar an Israel geliefert werden. Zunächst galt eine Zustimmung des Senats als sicher. Inzwischen hat eine Gruppe von Abgeordneten der Demokratischen Partei um Bernie Sanders, Alexandria Ocasio-Cortez, Mark Pocan, Rashida Tlaib und Ilhan Omar eine Resolution eingereicht, um über die Waffenlieferung abstimmen zu lassen. Sollte die Lieferung abgelehnt werden, müßte Präsident Biden sein Veto einlegen. Das wiederum könnte nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit überstimmt werden. Außenminister Antony Blinken kündigte an, in den nächsten Tagen nach Israel zu reisen.
Deutschland zuverlässiger Partner Israels
Noch wenige Stunden vorher Beginn der Waffenruhe hatte der deutsche Außenminister Maas am Donnerstagmorgen in den Trümmern einer Wohnung in dem Ort Petach Tikwa, östlich der israelischen Hauptstadt Tel Aviv gestanden. Mit seinem israelischen Amtskollegen Gabi Aschkenasi zeigte er sich an der ausgebombten Fensterfront, wo die beiden Politiker gut für alle Film- und Fotokameras zu sehen waren. Ein begleitender Offizier der Israelischen Streitkräfte erläuterte die Lage, die Szene war umgeben von Bodyguards. Die Krawatten, die Maas und Aschkenasi kurz zuvor noch bei der Pressekonferenz am Flughafen getragen hatten, hatten die Männer abgenommen. Nur ihre Anzugjacken verhinderten, daß sie nicht auch noch die Ärmel ihrer blütenweißen Hemden aufgekrempelt hatten.
Maas hatte unmittelbar nach seiner Ankunft in Tel Aviv der israelischen Regierung die »deutsche Solidarität« zugesichert. Daß »wir sehen, daß die Hamas, seitdem wir hier in Tel Aviv angekommen sind, bereits wieder Raketen in den Süden Israels schießt, ist für uns ein Hinweis darauf, wie ernst die Situation ist, in der sich die Menschen in Israel befinden«. Israel habe zweifelsohne »das Recht, sich gegen solche massiven Angriffe zu verteidigen (...) solange es Staaten und Regierungen in dieser Region gibt, die Israel mit Vernichtung drohen«. Auch in Zukunft werde Deutschland zur Verteidigung Israels seine »Beiträge leisten«. Aschkenasi bedankte sich bei Maas, daß der »in dieser Zeit, in einer Zeit, wo Raketen fallen«, gekommen sei.
Neben den USA und Frankreich gehört Deutschland zu den wichtigsten Rüstungslieferanten Israels. Nach Angaben der »Kampagne gegen Waffenhandel« (Campaign Against Arms Trade, CAAT) genehmigten deutsche Bundesregierungen zwischen 2001 und 2018 Rüstungsexporte nach Israel im Wert von rund 2,35 Milliarden Euro. Geliefert wurden vor allem Kriegsschiffe, Fahrzeuge, Panzer, Sprengkörper, Flugzeugausrüstungen und andere Geräte sowie Munition, chemische Stoffe und leichte Waffen.
Wirtschaftlich ist Deutschland innerhalb der Europäischen Union der größte Handelspartner Israels. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes hatte das Handelsvolumen 2019 einen Umfang von 6,9 Milliarden US-Dollar. Deutsche Unternehmen sind bei der Vergabe von Infrastrukturprojekten in Israel gut aufgestellt. Beide Länder arbeiten zudem eng im Bereich von »Schlüsseltechnologien« zusammen, u.a. um kritische Infrastruktur wie Energie- und Wasserversorgung, Straßen- und Warenverkehr zu sichern. Israel ist somit direkt in die »hohe Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger« auch in Deutschland involviert.
Wenige Kilometer weiter südlich warteten die Menschen vergeblich auf ein entsprechendes Foto des deutschen Außenministers. An den zerbombten Häusern im Gazastreifen war Heiko Maas nicht interessiert. Als er später am Tag im Empfangssalon des sichtlich gealterten Mahmud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah saß, verweigerten palästinensische Journalisten ihre Teilnahme an der vorbereiteten Pressekonferenz. Heiko Maas habe einseitig für Israel Partei ergriffen, hieß es in einer Erklärung der palästinensischen Journalistenvereinigung.
Palästinenser vereint in Trauer und Freude
Als der Waffenstillstand in der Nacht zu Freitag in Kraft trat, kamen die Palästinenser in Gaza zusammen, feierten und gedachten gleichzeitig der Toten. Abed Schokry, ein Einwohner aus Gaza, der täglich über die israelischen Angriffe berichtet hatte, schrieb, alle seien froh über die Waffenruhe: »Die Nacht wurde zum Tag«. Man sei froh über »die Einigkeit der Palästinenser weltweit«, die Bevölkerung habe einen hohen Preis bezahlt. Die Solidarität gelte allen, die Angehörige, ihr Zuhause oder ihre Geschäfte verloren hätten.
Am Morgen hatte Schokry das Foto des zehnjährigen Aziz al-Kulk verschickt, der bei einem Angriff auf das Haus seiner Familie die Eltern und zwei Geschwister verloren hatte. Sechs Stunden hatte der Junge unter den Trümmern ausgeharrt, bis er gerettet werden konnte. Seinem Onkel sagte er, er wisse, daß er der einzige Überlebende seiner Familie sei: »Ich habe gesehen, wie meine Mutter und mein Vater verblutet sind.«
Die Hilfsorganisation Norwegian Refugee Council (NRC) berichtete, 11 der mindestens 62 Kinder, die bei den israelischen Luftangriffen auf den Gazastreifen getötet worden seien, hätten an einem psychosozialen Programm der Organisation teilgenommen, »um ihre Traumata zu bewältigen«. Die Kinder seien zwischen 5 und 15 Jahren alt gewesen. NRC-Generalsekretär Jan Egeland sagte: »Sie sind nun tot, getötet mit ihren Familien, begraben mit ihren Träumen und den Albträumen, die sie verfolgten. Wir rufen Israel auf, diesen Wahnsinn zu beenden.«
Zu den namentlich von NRC genannten getöteten Kindern gehörten auch die 13-jährige Tala Ayman Abu al-Ouf und ihr 17-jähriger Bruder Tawfik. Auch ihr Vater, Ayman Abu al-Ouf und seine Frau sowie die Großeltern wurden getötet. Das vierstöckige Haus war am Sonntagmorgen ohne Vorwarnung von der israelischen Luftwaffe zerstört worden. Zwölf Menschen kamen dabei ums Leben. Dr. Ayman Abu al-Ouf war Leiter der inneren Medizin am Shifa-Krankenhaus in Gaza Stadt. Er leitete auch das einzige örtliche COVID-19 Zentrum in Gaza Stadt.