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Ausland22. August 2023

»Die Regierung läßt die Masken fallen«

In Frankreich sollen Patienten stärker abkassiert werden

von Ralf Klingsieck, Paris

In Vorbereitung des Staatshaushalts für das kommende Jahr hat sich die französische Regierung zum Ziel gesetzt, die Ausgaben für die gesundheitliche Versorgung zu senken und dafür vor allem die Patienten selbst stärker heranzuziehen.

So soll die 2008 eingeführte »franchise medicale«, also die obligatorische medizinische Selbstbeteiligung, verdoppelt werden. Das bedeutet, daß sich bei jeder Arztkonsultation der Eigenanteil am Honorar, der nach den anteilmäßigen Erstattungen durch die staatliche Krankenkasse und die private Zusatzkasse übrig bleibt und vom Patienten selbst zu tragen ist, von bisher einem auf künftig zwei Euro erhöht. Auch der Eigenanteil bei Medikamenten verdoppelt sich, von 50 Cent auf einen Euro für jede Packung. Dadurch sollen sich umgehend spürbare Einsparungen ergeben und darüber hinaus will man so die Patienten zum »verantwortungsbewußten Umgang mit Medikamenten und zur Sparsamkeit« anhalten. Allerdings soll auch künftig die Summe der Selbstbeteiligungs-Beiträge pro Jahr 50 Euro nicht überschreiten, damit Langzeitkranke nicht unverhältnismäßig benachteiligt werden.

Gesundheitsminister Aurélien Rousseau betont, daß es unbedingt nötig sei, die Ausgaben für die gesundheitliche Betreuung, die in den vergangenen Jahr durch die Corona-Pandemie aus dem Ruder gelaufen seien, wieder unter Kontrolle zu bekommen. Selbst wenn man die Corona-bedingten Zusatzkosten unberücksichtigt läßt, haben sich die Aufwendungen aus dem öffentlichen Haushalt seit 2019 um rund 30 Prozent erhöht. Im vergangenen Jahr hat die Krankenkasse für Arztkonsultationen und Medikamente 26 Milliarden Euro ausgegeben. Durch die Verdoppelung des Eigenanteils rechnet man damit, daß es künftig 500-600 Millionen Euro pro Jahr weniger sein werden.

Doch der Rotstift soll auch bei anderen Posten angesetzt werden. So will man künftig die Erstattungen für zahnmedizinische Behandlungen und für Zahnersatz durch die staatliche Krankenkasse um zehn Prozent reduzieren, so daß ein entsprechend größerer Anteil auf die Zusatzkassen und die Patienten selbst entfällt. Davon verspricht man sich Einsparungen für die staatliche Krankenkasse in Höhe von jährlich 500 Millionen Euro.

Doch vor allem hat sich die Regierung vorgenommen, die durch Krankschreibungen verursachten Kosten entscheidend zu drücken. Die Anregung dafür könnte durch die Polizisten gekommen sein, die kürzlich gegen die Untersuchungshaft für eines ihrer Kollegen wegen des Verdachts auf Körperverletzung durch unangemessene Gewaltanwendung protestiert haben und die sich, da sie als Beamte nicht streiken dürfen, von einem Arzt haben krankschreiben lassen. Auf derartige »Gefälligkeitsatteste« soll künftig systematisch Jagd gemacht werden. Die Zahl der mit solchen Kontrollen beauftragten Beamten wird entsprechend erhöht. Ärzte, die durch eine besonders hohe Zahl fragwürdiger Krankschreibungen auffallen, müssen mit Geldstrafen rechnen oder können sogar ihre Kassenzulassung verlieren. In diesem Zusammenhang wurde mitgeteilt, daß die Kosten für Krankschreibungen im vergangenen Jahr 14 Milliarden Euro betrugen und sich damit innerhalb von zehn Jahren – selbst wenn man Corona unberücksichtigt läßt – um 30 Prozent erhöht haben.

Die Maßnahmen, von denen die ersten bereits am 1.Oktober in Kraft treten sollen, entsprechen dem, was der Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire Mitte Juni auf einer Tagung zum Thema Staatsausgaben angemahnt hat. Dort prangerte er die »Fehlentwicklungen bei den Ausgaben für Medikamente« an und behauptete, da sie »für den Patienten praktisch kostenlos« seien, fördere dies »verantwortungslose Verschwendung«.

Eine solche Einschätzung sei »unsachlich, kaltherzig und schlichtweg falsch«, erklärt Agnès Giannotti, die Präsidentin der Allgemeinmedizinervereinigung GM France, in einem Offenen Brief an die Bevölkerung. »Die Regierung läßt die Masken fallen und leitet einen schrittweisen Rückzug des Staates aus dem Krankenkassensystem und darüber hinaus aus dem ganzen Gesundheitswesen ein«, ist sie überzeugt.

Auch die linken Oppositionsparteien und die großen Gewerkschaften weisen das oberflächliche und unsachliche Pauschalurteil durch Regierungspolitiker und deren Pläne entschieden zurück. So kritisiert der PS-Vorsitzende Olivier Faure, die Regierung beurteile das »höchst sensible Feld der Gesundheit einzig und allein mit dem kalten Blick eines Buchhalters«.

Professor Nicolas Da Silva, Experte für die Finanzierung des Gesundheitswesens, schätzt ein: »Diese Pläne der Regierung erinnern beklemmend an das, was auf diesem Gebiet in den 1980er und 1990er Jahren abgelaufen ist. Diese Politik hatte zur Folge, daß immer mehr Franzosen aus finanziellen Gründen so weit als möglich darauf verzichtet haben, zum Arzt zu gehen.«