In die Sanktionsspirale
EU-Kommission plant neue China-Sanktionen – zusätzlich zu Einschränkungen bei EU-Investitionen in China. Peking stellt Gegenmaßnahmen in Aussicht
Die EU plant neue Sanktionen gegen China, die sie erstmals mit angeblicher chinesischer Unterstützung für Rußlands Krieg gegen die Ukraine begründet. Ein entsprechender Bericht der »Financial Times« wurde in diesen Tagen im Wesentlichen bestätigt. Demnach spricht sich die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen dafür aus, Strafmaßnahmen gegen sieben Unternehmen aus der Volksrepublik einschließlich Hongkongs zu verhängen. Deren Vermögenswerte in der EU sollen eingefroren werden.
Mindestens vier der sieben Unternehmen sind bereits in den USA mit Sanktionen belegt worden. Dazu gehören 3HC Semiconductors und King-Pai Technology aus Shenzhen. Während King-Pai Technology beschuldigt wird, Bauteile nach Rußland zu liefern, die genutzt werden können, um elektronische Steuerungssysteme für Lenkwaffen zu produzieren, wirft die EU 3HC Semiconductors vor, USA-Produkte zu beschaffen, die nicht nach Rußland exportiert werden dürfen, und sie an russische Unternehmen weiterzuverkaufen. Zumindest in letzterem Fall erweisen sich die EU-Sanktionspläne damit de facto als bloße Handlangerdienste für die USA.
»Outbound Investment Screening«
Die Sanktionspläne sind lediglich Teil eines umfassenderen Maßnahmenpakets, das die die EU zur Zeit in Planung hat und das der chinesischen Wirtschaft Schaden zufügen soll. So kündigte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen schon Ende März an, sie wolle Beschränkungen bei Investitionen »europäischer« Unternehmen in der Volksrepublik einführen. Ziel sei, die Anwendung europäischen Know-hows durch chinesische Firmen einzuschränken. Offiziell war von der Sorge die Rede, es könne genutzt werden, um »die militärischen und nachrichtendienstlichen Fähigkeiten« Chinas zu stärken.
Faktisch geht es einerseits um einen Beitrag der EU zum Versuch des Westens, den technologischen Aufstieg der Volksrepublik zu bremsen. Andererseits sollen damit Unternehmen aus der EU von weiteren Aktivitäten in China abgehalten werden. Von der Leyen trug ihren Vorstoß kurze Zeit nach ihrem Besuch in den USA vor, bei dem sie unter anderem von USA-Präsident Joe Biden im Weißen Haus empfangen worden war. Washington bereitet gegenwärtig die Einführung identischer Maßnahmen (»Outbound Investment Screening«) für Investitionen in China, vor.
»Gespräche mit ausländischen Partnern«
Darüber hinaus steht die deutsche Bundesregierung offenkundig unter Druck, die Lieferung von Chemikalien nach China zu untersagen, die für die Halbleiterproduktion unverzichtbar sind. Dabei geht es um Grundstoffe, die vor allem BASF und Merck in die Volksrepublik exportieren; BASF sei bei den Chemikalien Marktführer in der EU sowie in Asien, während sich die Merck-Produkte »in beinahe jedem Chip weltweit« befänden, hieß es. Über den Hintergrund hieß es, es gehe um Versuche der USA, die Halbleiterproduktion der Volksrepublik zu schädigen.
Die USA setzen seit einiger Zeit alles daran, China von Erwerb und Produktion von Hochleistungschips abzuschneiden. So zwingen sie Konzerne aus den Niederlanden und aus Japan, keinerlei höherwertige Maschinen zur Halbleiterherstellung mehr in die Volksrepublik zu liefern. Ein Embargo von Chemikalien freilich, die für so gut wie alle Halbleiter benötigt werden, näherte sich dem Versuch, die chinesische High-Tech-Branche flächendeckend zu ruinieren. Zwar bekräftigte das Kanzleramt in Berlin, es treibe »derzeit keine Pläne« für ein solches Embargo voran; es fügte jedoch hinzu, man äußere sich nicht zu »vertraulichen Gesprächen mit ausländischen Partnern«. Es zählt zu den Konstanten der deutschen Bundesregierung, sich Druck aus den USA zunächst zu verweigern, ihm wenig später aber nachzugeben.
Chinas Gegenmaßnahmen
Für den Fall, daß die EU tatsächlich Sanktionen verhängt, kündigt Chinas Regierung Reaktionen an. Wang Wenbin, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, forderte die EU-Kommission auf, »nicht diesen falschen Weg einzuschlagen«, andernfalls werde die Volksrepublik, um ihre Interessen zu schützen, »entschlossene Maßnahmen« ergreifen. China hat in einer vergleichbaren Situation bereits ernst gemacht. So griff es, nachdem die EU vor etwas über zwei Jahren Sanktionen gegen China verhängt hatte, zu empfindlichen Gegensanktionen; die EU-Kommission hat Strafmaßnahmen gegen die Volksrepublik seitdem vermieden.
Erst kürzlich wurde bekannt, daß China Schritte eingeleitet hat, die zu zweierlei Gegenmaßnahmen führen können. Zum einen hat es Untersuchungen veranlaßt, die auf Sanktionen gegen den US-amerikanischen Chiphersteller Micron hinauslaufen. Zum anderen zieht es in Betracht, ein Embargo auf solche Technologien zu verhängen, die zur Weiterverarbeitung von Seltenen Erden nötig sind. Experten äußern dazu, ein solches Verbot allein werde im Westen keinen großen Schaden anrichten, da die entsprechenden Technologien auch dort verbreitet seien. Anders sehe es aus, wenn die Volksrepublik, um den Sanktionskrieg des Westens abzuwehren, zu einem vollen Embargo auf Seltene Erden selbst greife: Dann habe man, heißt es, »ein Problem«.
Deutscher Finanzminister ausgeladen
Auf politischer Ebene hat Chinas regierung begonnen, Berlin nun Schranken zu setzen, und die für den gestrigen Mittwoch geplanten Gespräche des deutschen Finanzministers Christian Lindner in der chinesischen Hauptstadt abgesagt. Lindner wollte dort unter anderem mit seinem chinesischen Amtskollegen Liu Kun sprechen. Für die kurzfristige Absage kommen diverse Gründe in Frage. So wird spekuliert, ob sie eine Reaktion auf den unlängst erfolgten Besuch von Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger auf Taiwan sei. Stark-Watzinger ist, wie Lindner, FDP-Mitglied. Die Volksrepublik hatte energisch gegen ihre Reise nach Taiwan protestiert.
Lindner selbst hat China kürzlich brüskiert, als er nach einem Treffen der G20-Finanzminister im Februar die Volksrepublik für ihre Haltung zum Ukraine-Krieg »zur Rede stellen« zu sollen meinte. 2019 hatte Lindner eine FDP-Delegation nach Hongkong geführt und sich dort öffentlich mit Protestdemonstranten solidarisiert.
Möglicherweise ist die chinesische Regierung einfach auch nicht mehr bereit, sich öffentlich schulmeistern zu lassen wie vor kurzem beim Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock, die der Auffassung war, es sei angemessen, ihren Amtskollegen Qin Gang vor der Presse zu belehren.