Leitartikel30. Juli 2024

Aktion und Reaktion

von Uli Brockmeyer

Am Wochenende wurde der Einschlag einer Rakete auf den Golan-Höhen gemeldet, eine syrische Region, die der Staat Israel unter Verletzung des Völkerrechts besetzt hat und als zum eigenen Staatsgebiet gehörend betrachtet. Der Angriff, dem leider mehrere Kinder und Jugendliche zum Opfer fielen, wurde unverzüglich und ohne jeden stichhaltigen Beweis der libanesischen Hisbollah zugeschrieben, und so gut wie alle Medien im »Werte«-Westen beeilten sich, das als »Tatsache« zu vermelden.

Als »Beweis« wurde verbreitet, israelische Soldaten hätten Reste einer Rakete aus dem Iran gefunden, die angeblich »nur von der Hisbollah verwendet wird«. Da diese »Information« ja aus Israel kommt, dem angeblich »einzigen demokratisch regierten Land« in Nahost, wird das keine Sekunde angezweifelt. Ein Motiv für einen Angriff der Hisbollah auf eine von Drusen bewohnte Region ist unerheblich, denn nach den »Guten« und den »Bösen« muß in diesem Fall ebensowenig gefragt werden wie bei dem seit über 60 Jahren andauernden Krieg Israels gegen die Palästinenser.

Israels Präsident Herzog empörte sich, daß »Kinder brutal ermordet« wurden und schrieb auf X: »Die vom Iran bewaffnete und finanzierte Hisbollah macht keinen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen, Soldaten und Zivilisten, Juden und Muslimen, Drusen und Christen«. Er sollte sich fragen lassen, ob die von den USA und anderen NATO-Staaten bewaffnete und finanzierte israelische Armee einen Unterschied macht zwischen Kindern und Erwachsenen, Soldaten und Zivilisten … im Gazastreifen.

Andere Politiker und -innen machten auch ihrer Empörung Luft. Es ist durchaus angemessen, sich über den Tod unschuldiger Kinder zu empören und dagegen zu protestieren. Nur leider blieben die selben Politiker und -innen verdächtig ruhig, als bei einem israelischen Angriff auf eine Schule in Gaza einen Tag zuvor mindestens 30 Menschen getötet wurden.

In den meisten Medien wird der israelische Narrativ übernommen, daß die »Militäreinsätze« ausschließlich gegen »Terroristen der Hamas« geführt werden. Damit läßt sich auch »rechtfertigen«, daß seit dem Oktober vergangenen Jahres weit mehr als 40.000 Menschen umgebracht wurden. Zwar waren die meisten von ihnen Frauen und Kinder, aber es ist eben ein »Einsatz« gegen »Terroristen«.

Jeder Angriff Israels, sei es im Gazastreifen, im Westjordanland, im Libanon, in Syrien oder im Jemen, wird von den Kriegsherren in Tel Aviv als »Gegenangriff« dargestellt, als eine »Reaktion« auf einen Angriff auf das ach so friedliche Israel, oder sogar als Präventivschlag gegen »terroristische Strukturen«. Betrachtet und vergleicht man die Wucht der Angriffe und Gegenangriffe, und auch die Zahl der Opfer an Menschenleben und das Ausmaß der jeweilig angerichteten Schäden etwas genauer, dann fällt einem objektiven Beobachter schon ein gewaltiges Mißverhältnis auf. Und es stellt sich die Frage, ob jede dieser Aktionen tatsächlich eine Reaktion ist – und ob es nicht vernunftbegabte Lösungen gibt, dieses tägliche Töten zu beenden.

Die ständige Wiederholung falscher Narrative hat den Zweck, Feindbilder aufzubauen und zu festigen, an die wir uns gewöhnen sollen. Die Publizistin Hannah Arendt hat das sinngemäß so beschrieben: Das ständige Lügen hat nicht den Zweck, daß die Menschen die Lüge glauben, sondern vielmehr sicherzustellen, daß die Menschen nichts mehr glauben. Mit so einem Volk können sie machen, was sie wollen.