Ausland17. Oktober 2023

Aufmarsch gegen Rußland

Konferenz der Kriegsminister

von Jörg Kronauer

Rund um die Uhr 35.000 Soldaten in hoher oder höchster Alarmbereitschaft: Das ist für die deutsche Bundeswehr künftig Normalzustand. Das neue »Streitkräftemodell« der NATO legt fest, daß 300.000 Soldaten, etwas mehr als ein Zehntel von ihnen aus Deutschland, binnen kürzester Zeit in den Krieg ziehen können.

Wie weit die Vorbereitungen gediehen sind, die bis 2025 abgeschlossen sein sollen, das war eines der großen Themen auf dem am Donnerstag zu Ende gegangenen Treffen der Armeeminister der Mitgliedstaaten der NATO. Klar ist: Das Vorhaben kostet, zumal auch zahlreiche Militärflugzeuge, Kriegsschiffe und weiteres Gerät jederzeit einsatzbereit sein sollen. Der Aufwand ist immens.

Und er hat ein Ziel. Die neuen sogenannten Verteidigungspläne der NATO sehen, soweit bekannt, vor allem eines vor: den Aufmarsch gegen Rußland. Das ist der Grund dafür, daß sich der sozialdemokratische deutsche Kriegsminister Boris Pistorius in Brüssel gesondert mit seinen Amtskollegen aus Britannien, Kanada und den drei baltischen Staaten traf. So wie Deutschland Truppen – mit Luxemburger Beteiligung – in Litauen stationiert hat, sind kanadische Einheiten in Lettland und britische Militärs in Estland präsent.

Das Baltikum gilt im Fall der Fälle als einheitlicher Kriegsschauplatz; man muß sich also abstimmen. Dies umso mehr, als die deutsche Bundeswehr eine noch nicht bekannte Anzahl an Soldaten nicht mehr bloß – wie bisher – eine Zeitlang, sondern auf Dauer in Litauen stationieren wird. All das bindet viel mehr Kräfte als bislang.

Zusätzlich angespannt ist die Kräftelage durch den Ukraine-Krieg. So viele Panzer, Flugabwehrsysteme und vor allem Munition, wie Kiew sie gern hätte, haben die deutschen Rüstungskonzerne und die Bundeswehr kaum parat. Und nun kommt auch noch Israels Krieg gegen die Hamas hinzu. Bereits jetzt hat die Bundeswehr Tel Aviv zwei ihrer fünf geleasten Heron-Drohnen und Munition zugesagt; daß es dabei bleiben wird, ist unwahrscheinlich. Dies gilt vor allem, wenn der Krieg noch ausgeweitet wird.

Daß der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski am Mittwoch »überraschend« persönlich in Brüssel eintraf, hat seinen Grund – er wollte möglichst kräftig die Werbetrommel rühren. Man erinnert sich: Als die ukrainischen Streitkräfte im Januar einmal mehr über Mangel an Munition klagten, sprangen die USA ein und schickten eine große Menge Granaten aus einem riesigen Lager, das sie in Israel unterhalten. Diese Zeiten sind vorbei; die USA haben begonnen, ihrerseits Munition an die israelischen Streitkräfte zu liefern. Und da die Rechte in den USA ohnehin so langsam genug von der beständigen Aufrüstung der Ukraine als Faß ohne Boden hat, könnten sich die Lieferströme rasant verschieben: Das Kriegsmaterial, das der Westen zur Verfügung hat, reicht für seine Pläne nicht aus.

In Zukunft wird also wohl noch stärker aufgerüstet werden, während Berlin die Truppen im Osten massiert. Die Eskalation der Kriege fordert ihren Tribut.