Ausland06. September 2024

Auslands-Nachrichten

von dpa/ZLV

Michel Barnier zum Premier ernannt

Entscheidend war »Duldung« durch das rechtsextreme RN

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat am Donnerstagmittag den Rechtspolitiker Michel Barnier zum neuen Premierminister ernannt und mit der Regierungsbildung beauftragt. Bereits am Nachmittag erfolgte die Amtsübergabe durch Gabriel Attal, den mit 35 Jahren jüngsten Premier der französischen Geschichte, an den 73-jährigen Politik-Routinier Barnier. Der war in seinem langen politischen Leben mehrfach Abgeordneter und Minister, Vorsitzender der einflußreichen Bürgermeister-Vereinigung und von 2010 bis 2014 französischer EU-Kommissar. Im Anschluß hat er als Sonderbeauftragter der EU-Kommissionspräsidentin bis 2021 für die EU mit Britannien die Konsequenzen des Ausstiegs aus der EU-Mitgliedschaft ausgehandelt.

Das dabei bewiesene diplomatische Geschick wird er jetzt dringend brauchen, wenn es darum geht, trotz ungünstiger Mehrheitsverhältnisse im Parlament für jedes neue Gesetz einzeln eine tragfähige Koalition aus den Vertretern der drei fast gleichstarken Blöcke zusammenzubekommen.

Mit der Ernennung von Barnier ist 51 Tage nach dem offiziellen Rücktritt der bisherigen Regierung die innenpolitische Krise, die Macron selbst durch die Auflösung des Parlaments und die dann durch sein Lager haushoch verlorenen Neuwahlen ausgelöst hat, erst einmal entschärft. Für wie lange, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall dürften die Aussichten für den als umgänglich bekannten, gemäßigten Rechtspolitiker Barnier größer sein als bei den anderen rechten und linken Anwärtern für das Amt des Regierungschefs.

Entscheidend war für Macron, daß der neue Premier nicht von vornherein mit einem Mißtrauensantrag durch eine breite Front der Opposition rechnen muß und damit stürzt, bevor er erste Schritte gehen konnte. Dabei sitzt das rechtsextreme Rassemblement national am entscheidenden Hebel, will ihn aber zunächst nicht betätigen, sondern erst einmal die Regierungserklärung des neuen Premiers abwarten.

Dagegen wird die Neue Volksfront, das Bündnis der linken Parteien, jeden rechten Premier und dessen Politik ablehnen, denn sie ist nach wie vor überzeugt, daß das Amt ihrer Kandidatin Lucie Castets zugestanden hätte und daß Macron der Linken, wie Jean-Luc Mélenchon gleich am Donnerstagmittag erklärte, »den Sieg gestohlen« hat.

Für Michel Barnier beginnen jetzt mit dem Ende des Sommers die eigentlichen heißen Tage, denn er muß aus »Marcon-verträglichen« Vertretern der verschiedenen politischen Blöcke eine Regierung bilden. Die sollte möglichst schon die Grundzüge einer »Großen Koalition« aufweisen, wie sie Macron vorschweben und wie sie für ein einigermaßen erfolgreiches Regieren unerläßlich sind. Das ist eine große Herausforderung, denn politische Koalitionen mit wechselnden Umrissen, wie sie aus anderen EU-Ländern seit Jahren bekannt sind, kennt man in Frankreich bislang überhaupt noch nicht.

Eine erste Bewährungsprobe muß das neue Kabinett Barnier bereits am 1. Oktober bestehen, denn dann muß dem Gesetz nach der Haushaltswurf für das nächste Jahr im Parlament vorgelegt werden. Bevor darüber im Plenum diskutiert und abgestimmt wird, muß der Budgetentwurf von der Finanzkommission der Nationalversammlung geprüft und gebilligt werden. Doch der steht der Abgeordnete Eric Coquerel vom Bündnis La France insoumise vor, für den Barnier »nichts anderes als ein Helfer Macrons« ist und »dessen unsoziale Politik fortsetzen« wird.

Ralf Klingsieck, Paris

Tote im Westjordanland

Die israelischen Angriffe im Westjordanland dauern an. In Tubas im Norden des Gebiets wurden fünf Palästinenser getötet, als ihr Auto von einer israelischen Rakete getroffen worden sei. Bei dem Angriff wurden auch zwei Personen verletzt, eine davon schwer. Israels Armee sprach von einem »Anti-Terror-Einsatz«, bei dem ein israelisches Fluggerät einen »Angriff gegen Bewaffnete« ausgeführt habe. Auch im Flüchtlingsviertel Faraa habe ein Fluggerät eine Gruppe Militanter angegriffen, die auf Soldaten gefeuert habe, teilte Israels Militär mit. Dabei wurde ein 16-Jähriger getötet.

Schicksalsgemeinschaft für neue Ära

Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping schlug am Donnerstag vor, die allgemeine Charakterisierung der Beziehungen zwischen China und Afrika zu einer chinesisch-afrikanischen Schicksalsgemeinschaft, die zusammen durch dick und dünn geht, für die neue Ära weiterzuentwickeln. Xi äußerte sich entsprechend in einer Grundsatzrede bei der Eröffnungszeremonie des Gipfeltreffens 2024 des Forums für chinesisch-afrikanische Zusammenarbeit (FOCAC) in Beijing. Zudem schlug Xi vor, die bilateralen Beziehungen zwischen China und allen afrikanischen Ländern, die diplomatische Beziehungen zu China unterhalten, auf die Ebene strategischer Beziehungen zu heben. Dank der fast 70-jährigen unermüdlichen Bemühungen beider Seiten seien die chinesisch-afrikanischen Beziehungen heute so gut wie nie zuvor in der Geschichte, sagte Xi.

Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping hielt eine Grundsatzrede mit dem Titel »Gemeinsam die Modernisierung vorantreiben und eine Schicksalsgemeinschaft aufbauen«. Er sagte, daß China bereit sei, mit Afrika zusammenzuarbeiten, um in den nächsten drei Jahren zehn partnerschaftliche Aktionspläne umzusetzen und die Modernisierung gemeinsam voranzutreiben.

Ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in China und Afrika. Es werde keine globale Modernisierung ohne die Modernisierung Chinas und Afrikas geben, sagte Xi bei der Eröffnung des Gipfeltreffens 2024 des Forums für chinesisch-afrikanische Zusammenarbeit (FOCAC).

Die zehn partnerschaftlichen Aktionspläne werden laut Xi die Bereiche wechselseitiges Lernen zwischen den Kulturen, Wohlstand durch Handel, Zusammenarbeit in der Industriekette, Konnektivität, Entwicklungszusammenarbeit, Gesundheit, Landwirtschaft und Lebensunterhalt, kultureller und persönlicher Austausch, grüne Entwicklung und gemeinsame Sicherheit umfassen.

Das gemeinsame Streben nach Modernisierung durch China und Afrika werde eine Modernisierungswelle im Globalen Süden in Gang setzen und ein neues Kapitel für den Aufbau einer Schicksalsgemeinschaft der Menschheit aufschlagen.

Es gehe um die gemeinsame Förderung einer Modernisierung, die gerecht und ausgewogen, offen und für alle Seiten gewinnbringend sei, bei der die Menschen an erster Stelle stünden, die sich durch Vielfalt und Inklusivität auszeichne, die umweltfreundlich sei und auf Frieden und Sicherheit beruhe.

Kinder im Gazastreifen werden gegen Polio geimpft

UTL: Ägyptens Armeechef inspiziert Grenze zum Gazastreifen. Vorwürfe gegen israelische Armee

Gaza/Kairo/Berlin – Die zweite Phase der Polio-Impfkampagne im Gazastreifen beginnt im Süden des Gazastreifens. Helfer seien in der Stadt Chan Junis im Einsatz, um dort Kinder gegen das hochansteckende Virus zu impfen, teilte die UNRWA auf der Plattform X mit. »In dieser kritischen Zeit müssen zum Schutz der Familien und der humanitären Helfer die Pausen in den Gebieten eingehalten werden«, schrieb die Organisation.

Gemeint sind zeitlich und örtlich begrenzte Kampfunterbrechungen im Gazastreifen, die von Israel zugesagt wurden. Laut der UNICEF-Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika, Adele Khodr, hatte dies in den vergangenen Tagen im Zentrum des Gazastreifens geklappt.

In der ersten Phase der Impfkampagne waren dort laut WHO mehr als 187.000 Kinder unter zehn Jahren geimpft worden. In der zweiten Phase wollen Helfer nun im Süden 340.000 Kinder erreichen. Dorthin sind viele Menschen vor den israelischen Angriffen vertrieben worden. In einer dritten Phase sollen auch Mädchen und Jungen im Norden des Gebiets die Impfung bekommen.

Nach WHO-Angaben müssen mehr als 90 Prozent der Kinder geimpft werden, um eine Ausbreitung zu verhindern. Nach vier Wochen brauchen alle Geimpften eine zweite Dosis.

Der Generalstabschef der ägyptischen Armee, Ahmed Chalifa, hat die ägyptische Grenze zum Gazastreifen besucht, um die dortige Sicherheitslage zu prüfen. In einem von dem Militär veröffentlichen Video sagte er: »Die Hauptaufgabe der Streitkräfte besteht darin, die Grenzen des Landes zu schützen.«

Die Kontrolle über die Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten gehört in den Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg zu den größten Streitpunkten. Laut israelischer Armee sollen unter dem Korridor etliche Tunnel der Hamas verlaufen. Ägypten und die Hamas lehnen eine dauerhafte Kontrolle des sogenannten Philadelphi-Korridors durch das israelische Militär ab.

Amnesty International wirft dem israelischen Militär vor, nach Erlangung der Kontrolle im östlichen Gazastreifen systematisch landwirtschaftliche Flächen und Tausende Häuser in diesem Gebiet zerstört zu haben. Dieses Vorgehen, eine »Pufferzone« entlang der östlichen Abgrenzung des besetzten Gazastreifens erheblich auszuweiten, müsse als Kriegsverbrechen untersucht werden, fordert die Organisation. Eigene Recherchen zeigten, daß es sich dabei möglicherweise um die Kriegsverbrechen der mutwilligen Zerstörung und Kollektivbestrafung handele.

Mit Bulldozern und Sprengsätzen habe das israelische Militär rechtswidrig landwirtschaftliche Flächen und zivile Gebäude zerstört sowie ganze Stadtviertel mit Häusern, Schulen und Moscheen dem Erdboden gleichgemacht, hieß es in der Mitteilung weiter. Die Häuser seien nicht im Zuge von Kampfhandlungen zerstört worden, sondern nachdem das Militär die Kontrolle über das Gebiet erlangt habe.

Durch die Analyse von Satellitenbildern und Videos, die von israelischen Streitkräften zwischen Oktober 2023 und Mai 2024 in sozialen Medien gepostet worden seien, habe Amnesty entlang der östlichen Abgrenzung des Gazastreifens einen neu zerstörten Landstrich identifiziert, der zwischen einem und 1,8 Kilometer breit sei, so die Menschenrechtsorganisation.

Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, sagte: «Die systematische Verwüstung, die das israelische Militär im Gazastreifen anrichtet, ist ein Akt der mutwilligen Zerstörung und nicht durch militärische Notwendigkeiten zu rechtfertigen. (...). Mutwillige Zerstörung und Kollektivbestrafung sind Kriegsverbrechen und müssen als solche untersucht werden.»

Das israelische Militär rechtfertigt den Abriß von Gebäuden im Gazastreifen unter anderem damit, dadurch Tunnel und andere terroristische Infrastruktur zu zerstören.

Neuer ukrainischer Außenminister

Kiew – Nach der Entlassung des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba hat das ukrainische Parlament dessen bisherigen Stellvertreter Andrij Iwanowitsch Sibiga als neuen Chef des Außenministeriums des Landes eingesetzt. Für die von Präsident Selenski eingereichte Kandidatur stimmten 258 Abgeordnete. 226 Stimmen wären notwendig gewesen. Von dem 49-Jährigen wird vor allem erwartet, daß er im Westen noch mehr Unterstützung für den Krieg gegen Rußland beschafft.

Sibiga arbeitete unter Kuleba bereits seit April als Vize im Außenministerium. Davor war er seit 2021 als Stellvertreter von Büroleiter Andrij Jermak im Präsidentenbüro im internationalen Bereich tätig gewesen. Von 2016 bis 2021 war der Jurist zudem ukrainischer Botschafter in der Türkei. Nach seinem Studium der internationalen Beziehungen trat er bereits 1997 in den diplomatischen Dienst ein.

Kuleba, der das Ministerium seit 2020 geleitet hatte, war selbst nicht im Parlament erschienen. Er hatte am Vortag seinen Rücktritt eingereicht. Angeblich soll er sich künftig auf einem neuen Posten für die NATO-Integration der Ukraine einsetzen. Laut einem Bericht des ukrainischen Einheits-Fernsehens hatte Selenski Kuleba auf einer Fraktionssitzung der Präsidentenpartei »Diener des Volkes« vorgeworfen, sich ungenügend für weitere Waffenlieferungen einzusetzen. Zudem dürfte der Präsident nicht sehr glücklich gewesen sein mit den Ergebnissen einer Vermittlungsreise, bei der Kuleba auch in China über Möglichkeiten der Beendigung des Krieges verhandelt hatte.

In seiner im Kiewer Einheits-TV veröffentlichen abendlichen Videobotschaft verlor Selenskyj am Vorabend kein Wort über die bisher beispiellose Neuaufstellung. Kritiker halten den Umbau der Regierung für Augenwischerei und Aktionismus, um Veränderungen vorzutäuschen und um von den Mißerfolgen im Krieg gegen Rußland abzulenken. Auch die Probleme bei der Energieversorgung lassen die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der eigenen Führung wachsen.

Für den neuen Außenminister Sibiga stimmten am Donnerstag in der Rada 258 von 315 Abgeordneten, es gab keine Gegenstimme, 28 enthielten sich und 29 nahmen nicht an der Abstimmung teil


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