Leitartikel08. Juli 2023

Menschenrechtsverbrecher als Ankläger

von

Allenthalben Doppelmoral: Zuletzt am 26. Juni, dem seit 1997 von der UNO begangenen Internationalen Tag zur Unterstützung der Folteropfer, beklagte ein Sonderbericht der Staatenorganisation »grausame«, »unmenschliche« und »herabwürdigende« Zustände im US-amerikanischen Schreckenslager in der illegal von den USA annektierten Bahía de Guantánamo auf Kuba. Dem Pentagon zufolge waren in dem Lager seit seiner Eröffnung unter Präsident Bush junior vor über 20 Jahren 780 Menschen aus 50 Ländern eingesperrt.

Wie viele von ihnen genau und nach welchen Methoden gefoltert wurden, bleibt wegen der strikten militärischen Geheimhaltung Washingtons nicht ermittelbar. Die gesichert dokumentierten Praktiken umfassen unter anderem Schlafentzug, Schläge auf Geschlechtsteile, Verletzung religiöser Gefühle und sexuelle Demütigung, Drohungen, die Familien in Mitleidenschaft zu ziehen und simuliertes Ertränken, das berüchtigte »Waterboarding«.

Was wäre nun im Wertewesten und seinen Medien, was wäre in der Welt los, nähmen Rußland und China allein diese eklatante Verletzung des Völkerrechts zum Anlaß, im Golf von Mexiko mit ihren Flugzeugträgern und Raketenkreuzern aufzulaufen, so wie es die USA – aus dem einzigen Grund einer immer verzweifelter versuchten Wiedergewinnung ihrer dramatisch schwindenden globalen Vormachtstellung – seit Jahren im Südchinesischen Meer tun?

Ein Weltkrieg wäre unvermeidlich, würde China – einem weiteren äußerst unwahrscheinlichen Szenario folgend – wie die USA im Falle Taiwans ein sich von den Vereinigten Staaten von Amerika abspaltendes sozialistisches Florida bis an die Zähne bewaffnen und demonstrativ diplomatisch aufwerten, indem Peking das Land wie ein vollgültiges Mitglied der UNO behandelte – obwohl Florida nach den Regeln der Staatengemeinschaft so gut ein Teil der USA ist wie Taiwan eben ein Teil Chinas.

Während Presse- und Rundfunkerzeugnisse im Wertewesten seit Jahren voll sind von Berichten über die angeblichen Schrecken, die die muslimische Minderheit im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang im äußersten Nordwesten Chinas erlitt, fällt anscheinend nicht auf, daß die den chinesischen Behörden zugeschriebenen oder in der Vergangenheit tatsächlich durchgeführten Maßnahmen wie Zwang zur Assimilation, Unterricht auf Mandarin, Bekämpfung des Separatismus usw. die Unterdrückungsmethoden spiegeln, die die europäischen Kolonialherren gegen die Bewohner der kolonialisierten Gebiete tatsächlich angewandt haben.

Bis vor kurzem noch wurden in Kanada die Kinder der Ureinwohner in einer Fremdsprache, Englisch, unterrichtet und gezwungen, mit dem Christentum eine Religion auszuüben, die nichts mit dem Glauben ihrer Vorfahren zu tun hat. Da sie zudem Experimenten und vielen Entbehrungen ausgesetzt waren, starben Tausende von ihnen.

Auch die irische Sprache wurde von den englischen Kolonialherren buchstäblich aus den irischen Kindern herausgeprügelt. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts mußte jedes irische Schulkind einen »tally stick« aus Holz um den Hals tragen, auf dem markiert wurde, wie oft es im Unterricht gewagt hatte, Irisch zu sprechen. Am Ende des Tages wurde das Kind entsprechend oft mit dem Stock geschlagen.

Hört man öfter vom furchtbaren Schicksal der Iren oder dem der kanadischen Ureinwohner oder von den Uiguren, über die die meisten »Nachrichten« des von der USA-Regierung finanzierten und in Washington ansässigen »Radio Free Asia« stammen?