Ölraub in Syrien
Über 80 Prozent der Erdölförderung werden illegal ausgeführt
Mehr als 14 Millionen Barrel Öl wurden in Syrien nach Angaben des zuständigen Ministeriums in den ersten sechs Monaten dieses Jahres produziert, das sind 80.000 Barrel pro Tag. Davon gelangen aber nur 14.000 Barrel in syrische Raffinerien. 66.000 Barrel pro Tag werden von den US-amerikanischen Besatzungstruppen und ihren lokalen Helfern in den Irak transportiert. Mehr als 80 Prozent der Ölförderung werden also gestohlen, erklärte ein Sprecher des syrischen Außenministeriums.
Die syrische Erdölproduktion war vor dem Krieg bescheiden, aber dennoch als Wirtschaftsfaktor und als Quelle von Staatseinnahmen wichtig. 2010 kamen nur 0,5 Prozent der weltweiten Ölproduktion aus Syrien, doch die Produktion von damals 385.000 Barrel Öl pro Tag erbrachte mehr als drei Milliarden US-Dollar, und 25 Prozent der Staatseinnahmen.
Mit dem Beginn des Krieges oppositioneller dschihadistischer Organisationen gegen die Regierung Syriens wurde die Ölindustrie völlig zerrüttet. Besucher der Region sprachen von einer Hexenküche zwischen der Stadt Rmelan – wo 1934 die erste syrische Ölförderung begann – und Qamischli. Provisorische Raffinerien, marode Leitungen, schwarze Ölpfützen auf der Erde und giftige Rauchschwaden, die den Himmel verdunkeln. Wassili Nebensja, Botschafter Rußlands bei der UNO, bezeichnete dies als »ökologische Zeitbombe«. 50.000 Faß Rohöl würden auf diese Weise die Umwelt verschmutzen und den Fluß Euphrat vergiften.
Der damalige USA-Präsident Donald Trump sah darin noch ein Geschäftsmodell. Unter dem Schutz der USA-Truppen, die den größten Teil der syrischen Ölfelder kontrollieren, sollte das US-amerikanische Unternehmen Delta Crescent Energy die Ölvorkommen ausbeuten. Nutznießer des Deals sollten unter anderem die kurdischen bewaffneten Formationen, die mit massiver militärischer, finanzieller und logistischer Unterstützung der USA unter dem Namen »Demokratischen Kräfte Syriens« (SDF) agieren, und ihre politische Vertretung werden. Um die gegen Syrien verhängten Sanktionen zu umgehen, erhielt Delta Crescent Energy von der Trump-Administration eine befristete Ausnahmegenehmigung.
Dieses Modell hat sich offenbar nicht bewährt. Delta Crescent versuchte, bei Al-Yaarubiyah einen weiteren illegalen Grenzübergang einzurichten – und scheiterte. Für die USA-Regierung wurde der offene Diebstahl mehr zur Belastung als zu einem Gewinn, und sie verlor zunehmend den Glauben an den Erfolg des Unternehmens. Die Ausnahmegenehmigung für Delta Crescent lief am 30. April letzten Jahres aus und wurde von USA-Präsident Joseph Biden nicht erneuert. Stattdessen erließ er Ausnahmeregelungen, die für die Gebiete gelten, die nicht unter Kontrolle der syrischen Regierung stehen. Hier gelten die Sanktionen, die Syrien zur Armut verdammen, vorerst nicht mehr, und ausländische Investitionen sind offiziell auch mit dem politischen Segen Washingtons erlaubt. Immer mehr ausufernde Korruption ist damit bereits programmiert.
Das syrische Öl wird weiterhin ins Ausland gebracht. Schon im Oktober 2019 hatte das russische Verteidigungsministerium Satellitenfotos veröffentlicht, die den Ölschmuggel zeigen sollten. Seitdem gibt es immer wieder Fotos, die lange Kolonnen von Tankwagen zeigen, die unter dem Schutz des USA-Militärs syrisches Öl außer Landes bringen.
Nach wie vor ist der »Regime Change«, der Sturz der Regierung und des nach den Regeln der bürgerlichen Demokratie gewählten Präsidenten Baschar Al-Assad – oder die Aufspaltung Syriens – fester Bestandteil der USA-Politik. Die USA kontrollieren mit ihrem Militär und ihren Verbündeten die syrischen Ölfelder und bestimmen, wohin das Öl verbracht wird – ob in den Irak oder in die Türkei ist dabei gleichgültig. Wichtig ist nur, daß die syrischen Ressourcen nicht dem Wiederaufbau des Landes zugutekommen.
Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums bezeichnete dieses Vorgehen als einen weiteren Tiefpunkt in der Menschenrechtsbilanz der USA. Doch mittelfristig kann es eine Verbesserung geben: Der syrische Ölminister läßt Ölfelder vor der syrischen Küste bei Tartus entwickeln, weitab vom Einfluß der USA.