Nicht »ausreichend euroatlantisch«
Italien: Außenminister Di Maio verläßt nach Streit über Kriegskurs mit über 60 Parlamentariern die Fünf-Sterne-Bewegung
Italiens Außenminister Luigi Di Maio ist nach parteiinternen Auseinandersetzungen über die Haltung der Regierung von Mario Draghi zum Ukraine-Krieg aus der Fünf-Sterne-Bewegung M5S ausgetreten. Das berichtete am Dienstagabend die staatliche italienische Nachrichtenagentur ANSA. War zunächst von 49 Abgeordneten und Senatoren die Rede, die ihm folgen wollten, nannte der »Corriere della Sera« am Mittwoch bereits die Zahl von über 60.
Der Schritt erfolgte nach einer Debatte im Senat über die Festlegung der Linie von Premier Draghi zum Kriegskurs. In den verabschiedeten Beschluß wurde die Kernforderung von M5S-Chef und Expremier Giuseppe Conte, keine Waffen mehr in die Ukraine zu schicken, nicht aufgenommen. Stattdessen wird nun als Kompromiß von »militärischen Deeskalationsinitiativen und einer stärkeren Einbindung der Parlamentskammern in die Entscheidungen der Regierung« – auch bei Verkauf und Lieferung von Militärgütern – gesprochen.
Di Maio, der seit Kriegsbeginn fordert, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski müsse »bis zum Sieg über Rußland« unterstützt werden, nannte die Forderung des M5S-Chefs eine »Ambiguität«, die Partei sei so nicht »ausreichend euroatlantisch«. Die Fünf-Sterne-Bewegung habe die Stabilität der Regierung riskiert, »nur um ein paar Prozentpunkte zurückzugewinnen«. Zwar stimmte er mit seinen Unterstützern noch für den Beschluß, gab aber unmittelbar nach Ende der Senatssitzung seinen Bruch mit der Partei bekannt. Zudem kündigte er an, mit den weiteren Abtrünnigen eine neue Partei namens Insieme per il futuro (Gemeinsam für die Zukunft) zu gründen, damit M5S »morgen nicht mehr die stärkste Kraft im Parlament« sein werde.
Die 2009 durch den Komiker Giuseppe Grillo als Auffangbecken früherer Linksdemokraten gegründete Fünf-Stern-Bewegung gibt sich zwar links, scheute jedoch vor radikalen Forderungen immer zurück. Di Maio war Mitbegründer der Partei und gelangte als ihr rechter Flügelmann 2017 an ihre Spitze. Nach dem Wahlsieg von M5S 2018, als sie 32 Prozent der Stimmen bekam, war Di Maio maßgeblich an der Bildung der Koalitionsregierung mit der faschistischen Lega von Matteo Salvini beteiligt und wurde Arbeitsminister sowie italienischer Vizepremier. Als der damalige Regierungschef Giuseppe Conte die Koalition mit der Lega im August 2019 beendete und eine Regierung mit der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) bildete, wurde Di Maio Außenminister. Diesen Posten behielt er auch bei, als im Januar 2021 der frühere EZB-Chef Draghi eine sogenannte Regierung der nationalen Einheit mit M5S, dem PD und den Faschisten der Lega und der Forza Italia (FI) von Expremier Silvio Berlusconi bildete.
Di Maio stand hinter dem rassistischen und migrationsfeindlichen Kurs von Lega-Chef Salvini, weswegen Reste einer linken Basis in M5S 2020 seine Absetzung als Parteichef durchsetzten. Danach amtierte Parlamentspräsident Roberto Fico als M5S-Chef, bis Conte 2022 die Führung übernahm. Wegen des Paktierens mit Lega sackte die M5S bei Regionalwahlen auf neun bis sieben Prozent ab. Conte wollte der Bewegung durch eine Distanzierung zum Kriegskurs der Regierung, der auf eine wachsende Antikriegsbewegung im Land stößt, wieder Auftrieb verschaffen.
Es ist nicht die erste Spaltung der M5S, die seit 2018 bereits fast ein Drittel ihrer 320 Parlamentarier verloren hat. Diesmal jedoch scheint »das Ende der fünf Sterne« zu kommen, meint das linke Internetmagazin »Contropiano«. Auch die gesamte Regierung Draghi könnte auf der Kippe stehen. Denn mit Di Maio gehen mindestens fünf Staatssekretäre – Laura Castelli (Wirtschaft), Manlio Di Stefano (Außenpolitik), Dalila Nesci (Süden), Pierpaolo Sileri (Gesundheit) und Anna Macina (Justiz) – sowie Landwirtschaftsminister Stefano Patuanelli. Laut der Tageszeitung »Il Manifesto« soll Di Maio bereits bei Staatspräsident Sergio Mattarella vorgesprochen haben, um »die Umbildung der Mehrheit, die Mario Draghi unterstützt«, zu erörtern, was verdeutliche, daß die Regierung von ihm abhänge.