Ausland06. Juli 2024

»Republikanische Front« gegen Rassemblement

Macron wählerisch bei Partner-Suche gegen Rechtsextreme

von Ralf Klingsieck, Paris

Wir werden auf keinen Fall zusammen mit La France insoumis regieren«, betonte Präsident Emmanuel Macron am Mittwoch auf der Ministerratssitzung deutlich. Am Vortag hatte er aufgerufen, daß »keine Stimme an die Rechtsradikalen« gehen dürfe. Mit diesem Appell richtete er sich »an alle demokratischen Kräfte«, in die er auch die Sozialisten, die Grünen und die Kommunisten einschloß, nicht aber LFI. Damit ist auch klar, wen er eventuell in eine »Regierung der nationalen Einheit« zur Abwehr einer Machtübernahme durch das rechtsextreme Rassemblement national einbeziehen würde und wen nicht.

Doch die in der Neuen Volksfront zusammengeschlossenen linken Parteien lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Vom Geist einer »Republikanischen Front« getragen, haben sie gemeinsam dazu aufgerufen, daß bei den 306 »Triangulaires«, also Wahlkreisen mit noch drei Kandidaten für den zweiten Wahlgang, der am wenigsten aussichtsreiche zurückgezogen wird, wenn dadurch dort ein Sieg des Kandidaten des Rassemblement national verhindert werden kann. Dagegen haben umgekehrt die bürgerlichen Parteien nicht überall so zugunsten der Volksfront gehandelt und nie zugunsten eines LFI-Kandidaten.

Nachdem am Dienstagabend die Kandidaturen für den zweiten Wahlgang offiziell angemeldet und registriert worden waren, ergab sich bereits etwas mehr Klarheit über die Erfolgschancen für die rechtsextremen Kräfte. Von den ursprünglich 306 Triangulaires sind nur noch 89 übrig geblieben, während es in 409 Wahlkreisen ein Duell gibt. In zwei Wahlkreisen stehen sich vier Kandidaten gegenüber, während in einem Wahlkreis nur noch ein einziger antritt und damit des Sieges schon sicher sein kann. In den restlichen 76 Wahlkreisen muß am Sonntag nicht mehr gewählt werden, weil ein Kandidat bereits im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommen hat.

Von den Abgeordneten der 2022 gewählten Nationalversammlung treten jetzt 72 Prozent an, um ihren Sitz zu verteidigen. 60 Prozent der Kandidaten sind Männer und 40 Prozent Frauen, das Durchschnittsalter liegt bei 49 Jahren, die jüngste Kandidatin ist gerade 18 geworden, der älteste ist 81 Jahre alt. Die soziale Herkunft und die Berufsstruktur entsprechen nicht der in der Gesamtbevölkerung, denn 22,4 Prozent der Kandidaten sind Führungskräfte (cadres), im Regierungslager sind es sogar 41 Prozent. Demgegenüber weist nicht die Volksfront, sondern das Rassemblement national mit 11 Prozent den größten Anteil von Arbeitern unter seinen Kandidaten auf.

Mit dem Rückzug von Kandidaten, um Anwärter des Rassemblement national zu schlagen, schwindet etwas von den Hoffnungen, die man sich beim Rassemblement national gemacht hatte. Andererseits rücken die dessen Spitzenpolitiker Marine Le Pen und Jordan Bardella auch von der bisherigen Bedingung ab, daß sie den Posten des Premierministers und die Regierungsbildung nur akzeptieren, wenn sie bei der Wahl die absolute Mehrheit bekommen. Jetzt kündigen sie an, eine von ihnen geführte Regierung, zu der auch unabhängige Politiker und parteilose Fachleute gehören könnten, sei auch arbeitsfähig, wenn sie im Parlament nur die relative Mehrheit hat, aber von Fall zu Fall durch eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten aus anderen Parteien unterstützt wird. Im Hinblick auf diese Taktik hat das Rassemblement national für den zweiten Wahlgang in einigen Kreisen bewußt keinen eigenen Gegenkandidaten aufgestellt.

Unterdessen fängt Marine Le Pen bereits an, Forderungen für eine mögliche »Cohabitation«, also die Koexistenz des noch bis 2027 amtierenden Präsidenten und einer durch das Rassemblement national gebildeten Regierung, zu erheben. So stellt sie beispielsweise eine der Grundregeln der Fünften Republik infrage, nach der Außenpolitik und Verteidigung Prioritäten des Präsidenten sind. In einem Interview erklärte sie provokatorisch, Armeechef sei nicht mehr als ein »Ehrenrang« und das eigentliche Kommando über die Streitkräfte käme dem Regierungschef zu.

Streit um solche Grundfragen dürfte zu einer großen Verunsicherung hinsichtlich der künftigen Haltung Frankreichs zu den großen internationalen Themen führen. Immerhin revidierte das Rassemblement national inzwischen einiges von den früheren Positionen zu Rußland und der Ukraine. So versichern dessen Spitzenpolitiker heute, die Ukraine müsse und werde alle nötige Hilfe bekommen, aber keine Bodentruppen, wie sie Macron in Aussicht gestellt hatte.