Ausland09. August 2023

De-Risking – aber andersherum!

Sich aus den Fesseln transatlantischer Verblendung lösen

von Hartmut König

Deutschland gerät ins ökonomische Hintertreffen«, klagte unlängst ein Analyst der »Berliner Zeitung«. Er zitierte den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), der bis Jahresende ein »Nullwachstum« befürchtet, sowie das Ifo-Institut mit einer alarmierenden Rezessionsprognose. Zugleich verwies der Autor auf eine aktuelle Analyse des European Council on Foreign Relations (ECFR), der zufolge die USA der EU ökonomisch rasant vorauseilen. 2008 noch unterlegen, sei die Wirtschaft der Vereinigten Staaten mittlerweile um fast ein Drittel und, rechnet man Britannien heraus, um mehr als die Hälfte größer als die der EU. »Europa« stehe zu den USA quasi in einem Vasallenverhältnis.

In der politisch herbeiprovozierten Energiekrise, in der die USA zum weltweit größten Gasproduzenten avancierten, nutzt die Biden-Regierung die in der EU abnorm gestiegenen Beschaffungskosten zur Abwerbung von Unternehmen in die USA. »In einer ausgewogenen transatlantischen Partnerschaft hätten die USA Initiativen wie den Inflation Reduction Act (IRA) niemals ohne Konsultation in Betracht gezogen«, meinen die ECFR-Analysten zu der dreisten »America-First«-Attacke. Aber in Washington pokert man mit der »Sicherheitsabhängigkeit«, in die man den größten Teil des alten Kontinents zwingen konnte. Und so sitzt neben der Rüstungs- auch die Wirtschaftspolitik der eingefangenen EU-Staaten devot bei Fuß der überseeischen Herrschaft und zeigt sich unfähig, dem Verfall ihrer einstigen Potentiale entgegenzuwirken.

Auch Deutschland, dessen Abstieg als wirtschaftliche Großmacht befürchtet wird, leistet unter dem Einfluß einer ideologisch verkrusteten Außenpolitik kaum Widerstand. Neben ältere Probleme wie die bedenkliche Technologieabhängigkeit vom Ausland durch deutsche Abstinenz bei der Entwicklung und Produktion im strategisch bedeutsamen High-Tech-Sektor sowie völlig unzureichenden Investitionen in Bildung und Infrastruktur sind nun die aktuellen Probleme getreten:

Die bis zum Desinteresse an der Zerstörung von Nord-Stream-Anlagen reichende Verweigerung günstiger, selbst in Krisenzeiten sicherer Energielieferungen aus dem Osten.

Die aus dem Wirrwarr alternativer Beschaffung resultierenden Verwerfungen in der Wirtschaft und in privaten Haushalten.

Das gedrosselte Konsumverhalten der Menschen infolge enorm gestiegener Lebenshaltungskosten.

Die ins Obszöne gesteigerten Rüstungsausgaben zu Lasten der Sozialsysteme und dringender infrastruktureller Sanierungen.

Die Rückschläge aus all den Boykott-Eseleien, in die nun noch die vornehmlich grün-erregten Rufe nach »De-Risking« in den deutschen Außenhandelsverbindungen drängen, wobei vor allem der Handel mit der Volksrepublik China gemeint ist.

Alles, was die hörige deutsche Koalitionsregierung schon zuvor planlos vermurkste oder neuerlich als »wertebasiert bedenklich« auf den Prüfstand stellt, wird durch den Krieg in der Ukraine begründet. Der ist ein Unglück für die Völker und muß möglichst schnell am Verhandlungstisch ein Ende finden. Aber sicherheitspolitische Vernunft im Westen hätte ihn bei Verzicht auf militärische Einkreisung und geostrategische Dominanzgelüste des NATO-Lagers verhindern können.

Nun ist im Regierungs-Revier statt der zutreffenden, aber entlarvenden Vokabel »Entkoppelung« ein abgeschwächtes »De-Risking« das Modewort. Was mit Rücksicht auf eine irritierte Wirtschaft als bloße »Risikominderung« verkauft wird, birgt tatsächlich Eskalationsrisiken, in denen transatlantische Verblendung die Gesundung des Weltklimas verbaut und die Lebensqualität der Völker noch stärker beeinträchtigt.

Also: Ja! De-Risking – aber anders herum! Sich aus den Fesseln Washingtoner Bevormundung lösen! Der großen Phalanx von Nationen in Afrika, Asien und Lateinamerika folgen, die sich in ihrer Entwicklung nicht USA-Interessen beugen, sondern eigene Pläne für eine friedliche, sozial gerechte, ökonomisch und ökologisch gedeihliche Zukunft aufstellen! Das ist De-Risking aus Sicht der Völker.