Leitartikel22. Mai 2024

Hoffen auf Gerechtigkeit

von Uli Brockmeyer

Zwei juristische Entscheidungen vom Wochenende erregen Aufmerksamkeit. Beide haben formal nichts miteinander zu tun, sie stehen jedoch in einem engen Zusammenhang.

In beiden Fällen geht es um Kriegsverbrechen. Der Anklagevertreter am Internationalen Strafgerichtshof hat sich – nach langen Recherchen und mit Unterstützung namhafter Juristen, darunter die Clooney Foundation in den USA – dazu entschlossen, Anträge auf Haftbefehl gegen den Regierungschef und den Kriegsminister Israels zu beantragen, und gleichzeitig auch gegen drei führende Personen der palästinensischen Hamas. Obwohl bisher überhaupt nicht absehbar ist, ob das Gericht den Anträgen stattgeben wird, ist das Geschrei groß in den meisten Hauptstädten des »Werte«-Westens. Die Argumente der Unterstützer des israelischen Angriffskrieges gegen das Volk von Palästina sind skurril, entsprechen jedoch den Erwartungen.

Es sei »nicht hinnehmbar«, heißt es mit einigen Abstufungen bei der Formulierung, daß Vertreter eines »demokratischen Staates« mit »Terroristen« auf eine Stufe gestellt werden. Handle es sich doch bei dem Krieg Israels um die Ausübung des »Rechts auf Selbstverteidigung«. Das entspricht dem täglich mehrmals verkündeten Narrativ, Israel reagiere lediglich auf die Angriffe vom 7. Oktober. Nur die angreifenden Quassam-Leute und deren Verbündete hätten abscheuliche Kriegsverbrechen begangen, versucht man uns seit Monaten einzureden.

Der israelische Angriffskrieg wird als »Militäreinsatz« verharmlost. Die Angaben unabhängiger Schätzungen über mehr als 40.000 Tote werden mit Formulierungen des Zweifels belegt, die weitgehend totale Zerstörung der meisten Städte und Siedlungen in Gaza, von mindestens 75 Prozent der Infrastruktur, der meisten Gesundheitseinrichtungen, die gezielten Tötungen in Gaza, im Libanon und in Syrien, das Abschneiden jeglicher Versorgung – all das erscheint in den westlichen Medien wie eine Art Kollateralschaden.

Die Tatsache, daß dies nicht der erste Krieg Israels gegen die Palästinenser ist, daß der Staat Israel seit 1948 eine Unterdrückungs- und Vertreibungspolitik verfolgt und sämtliche Beschlüsse der UNO mit Militärstiefeln zertrampelt, wird ignoriert, und Kritik an all diesen Verbrechen wird gern als »Antisemitismus« gebrandmarkt.

Vor allem aber ärgert man sich darüber, daß zum ersten Mal in der Geschichte des IStGH führende Politiker des Westens mit Haftbefehl bedroht werden – bisher konzentrierte sich das Gericht auf Politiker aus Afrika und Politiker von Staaten, die vom Westen mit irgendwelchen Sanktionen belegt wurden. Nun trifft es zwei der eigenen Leute, allerdings noch nicht die Verantwortlichen der vielen Kriege der USA und der NATO.

Und ja, es geht um veritable Kriegsverbrechen, ganz gleich, ob der Vorwurf des Völkermordes zur Anwendung kommt oder nicht. Und um Kriegsverbrechen geht es auch in dem anderen Gerichtsbeschluß in London, laut dem es dem Journalisten Julian Assange erlaubt ist, noch einmal Berufung gegen seine drohende Auslieferung an die USA einzulegen. Dort will man ihn vor Gericht stellen mit der Androhung einer mindestens doppelt lebenslänglichen Haftstrafe. Nicht etwa wegen begangener, sondern wegen aufgedeckter Kriegsverbrechen der USA im Irak und in Afghanistan.

Somit besteht zumindest ein Funken Hoffnung auf Gerechtigkeit – für das Volk von Palästina und für Julian Assange.