Schwein gehabt
Als die »Pandemie H1N1 2009«, die sogenannte Schweinegrippe oder Influenza A, im April dieses Jahres in Mexiko und den USA ausbrach, dürften in der Londoner Chefetage des Pharmakonzerns GlaxoSmithKline (GSK) die Champagnerkorken geknallt haben. Mehrere Millionen Pfund Sterling, die GSK in die Entwicklung eines Impfstoffs gesteckt hatte, mit dem man eigentlich die weltweite Ausbreitung der durch den Virussubtyp Influenza A/H5N1 verursachten »Vogelgrippe« verhindern wollte, standen schon vor der Abschreibung, als plötzlich die ersten Mexikaner an der »Schweinegrippe« erkrankten.
Dabei hatte GSK – wie auch der Schweizer Pharmakonzern Hoffmann-La Roche mit Tamiflu – schon dank der eingestandenermaßen völlig unbegründeten Vogelgrippepanik mit seinem von Regierungen in aller Welt für mehrere Milliarden Euro georderten Grippemedikament Relenza ordentlich Kasse gemacht, bevor der nach einem von Panoramix zusammengebrauten Zaubertrank klingende Grippeimpfstoff Pandemrix zugelassen wurde.
Für die Zulassung in der EU ist passenderweise die European Medicines Agency (EMEA) zuständig, die bei der EU-Kommission nicht etwa der Direktion für Gesundheit oder Verbraucherschutz unterstellt ist, sondern der Wirtschaftsdirektion. Zudem wird die EMEA fast zu zwei Dritteln von der Pharmaindustrie finanziert.
Luxemburg läßt sich die erste Impfkampagne, die am Dienstag in sieben übers ganze Land verteilten Impfzentren anlaufen soll, ungefähr eine halbe Million Euro kosten. Dafür sollen offiziellen Angaben zufolge »über 50.000 Personen« Pandemrix verabreicht bekommen. Wobei besondere Risikogruppen wie chronisch Kranke, Kinder, die dauerhaft mit Aspirin behandelt werden, oder Schwangere ab der dreizehnten Schwangerschaftswoche sowie das Gesundheitspersonal zuerst drankommen sollen.
Doch der im Dresdner GSK-Serumwerk hergestellte Impfstoff hat es in sich. Bei Pandemrix handelt es sich nicht um einen – meist aus 15 Mikrogramm Antigenen bestehenden – sogenannten Spaltimpfstoff, sondern hier wurde die Antigenmenge auf 3,7 Mikrogramm reduziert und zum Ausgleich wurde das von GSK patentierte Adjuvans AS03 – ein Wirkverstärker, der neben Polysorbat auch die ungesättigte organische Verbindung Squalen enthält – sowie der Konservierungsstoff Thiomersal zugesetzt. Sowohl bei Squalen als auch bei Thiomersal, dem Natriumsalz einer organischen Quecksilberverbindung, konnten in Tierversuchen erhebliche Nebenwirkungen festgestellt werden – allerdings bei verabreichten Dosen, die weitaus höher sind als in Pandemrix.
Ein besonderes Problem haben Schwangere, weil bisher weder Pandemrix, noch seine Inhaltsstoffe klinisch an Schwangeren oder Kleinkindern getestet wurden. Dieses Dilemmas scheint sich auch das Gesundheitsministerium bewußt zu sein, da es schwangeren Frauen rät, sie sollten »zusammen mit ihrem Gynäkologen entscheiden«, ob sie sich nächste Woche den sogenannten Ganzkörperimpfstoff Pandemrix verabreichen lassen, oder ob sie den für Mitte November angekündigten Impfstoff ohne Wirkverstärker abwarten. Davon hat die Regierung ebenfalls 15.000 Dosen bestellt, jedoch wurde auch dieser bisher kaum getestet.
Während die Risiken der wohl größten Impfaktion aller Zeiten also auf das Volk abgewälzt werden, und sämtliche Folgekosten dank einer umfassenden Haftungsfreistellung von der Versichertengemeinschaft getragen werden müssen, stehen die Pharmamultis bereits jetzt als Gewinner fest. Allein GSK verdient am größten Feldversuch der modernen Medizingeschichte geschätzte 4,2 Milliarden Dollar.
Oliver Wagner