Ausland09. Juni 2023

Demokratie ist passé

Zur Entmachtung des französischen Parlaments

von Valentin Zill

Frankreich brennt, seit Präsident Macron sich entschlossen hat, den Wunsch des Kapitals nach zwei Jahre längerer Ausbeutung der Werktätigen gegen den Willen der großen Mehrheit der Gesellschaft durchzusetzen. Die eher konservative Fraktion LIOT unternahm den Versuch, wesentliche Teile dieser »Rentenreform« mittels eines Gesetzentwurfs rückgängig machen. Der Umgang damit zeigt deutlich, wie wenig Macron von Demokratie hält.

Am 31. Mai behandelte der Sozialausschuß der Nationalversammlung die Vorlage. Im Vorfeld hatten zwei Fraktionen Gegner der »Reform« unter ihren Ausschußvertretern durch linientreue Mandatsträger ersetzt. Sicherheitskräfte verwiesen Journalisten unter Androhung körperlicher Gewalt des Saals. Nicht jeder Abgeordnete bekam einen Sitzplatz. Die Vorsitzende des Ausschusses, Mitglied in Macrons Partei »Renaissance«, begrenzte die Redezeit pro Abgeordnetem auf eine Minute. »Abdriften ins Mafiöse« sei das, kommentierte La France insoumise. Nach abgebrochener Debatte stimmte der Ausschuß mit 38 zu 34 Stimmen dafür, just den Artikel aus der Vorlage zu streichen, der die Erhöhung des Renteneintrittsalters rückgängig machen sollte. Die Ausschußvorsitzende Khattabi wies pauschal sämtliche Änderungsanträge linker Fraktionen ab. Deren Abgeordnete verließen ob dieser historischen Entrechtung wütend den Saal.

Könne das Parlament am 8. Juni nicht über die Rücknahme der Erhöhung des Renteneintrittsalters abstimmen, befinde man sich nicht mehr in einer Demokratie, stellte Fabien Roussel, Nationalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei (PCF), fest. LIOT wollte diese Abstimmung durch einen kurzfristigen Änderungsantrags doch noch ermöglichen. Den werde sie als unzulässig zurückweisen, kündigte Parlamentspräsidentin Yaël Braun-Pivet an, weil er Kosten verursache. Das ist offenkundiger Blödsinn und klar verfassungswidrig.

Längst dreht sich der Abwehrkampf gegen die »Rentenreform« nicht mehr nur um die Verteidigung eines sozialen Rechts. Jetzt geht es auch um die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie, für die die herrschende Klasse Frankreichs offensichtlich nichts mehr übrig hat. Und Macrons ständige Tricksereien könnten nach der nächsten Wahl zum Instrumentarium einer faschistischen Nachfolgerin werden. Die einzige Feuerwehr in Sicht: Frankreichs Gewerkschaftsverbände.