Leitartikel24. August 2024

Längst überfällig

von Ali Ruckert

Diese Woche berichteten wir davon, dass hierzulande 36.000 Rentner, davon 28.500 Frauen, auf einen staatlichen Zusatz angewiesen sind, weil ihre Rente niedriger als die gesetzliche Mindestrente ist. Hat man während 40 Jahren Sozialbeiträge eingezahlt, beträgt diese Mindestrente beim gegenwärtigen Indexstand 2.219,63 Euro brutto. Das ist zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig, weshalb im reichen Luxemburg viele Rentnerinnen und Rentner von Armut bedroht sind oder in Armut leben.

Diese Entwicklung könnte sich noch beschleunigen, wenn demnächst die Ausgaben der Rentenkasse die Einnahmen übersteigen sollten, so dass die 2012 von der LSAP, der DP und den Grünen beschlossene Rentenverschlechterungsreform dazu führen würde, dass das Ajustement – die alle zwei Jahre anstehende Anpassung der Renten an die Entwicklung des Durchschnittslohns – teilweise oder ganz wegfallen könnte.

Um die Altersarmut zu bekämpfen, wie das die CSV/DP-Regierung bei ihrem Amtsantritt zu tun versprach, würde es sich aufdrängen, erstens, die Rentenkürzungsreform von 2012 rückgängig zu machen, und zweitens, die Mindestrente zu erhöhen. 20 Prozent, wie das die KPL fordert, wären da nicht zu viel, um den Rentnern aus der Armutsfalle herauszuhelfen.

Dazu wäre massivster Druck der Schaffenden und ihrer Organisationen notwendig, denn freiwillig werden Regierung und Patronat einer solchen Rentenaufbesserung nicht zustimmen.

Mit der gleichen Armutsfalle wie die Rentner haben es auch die Lohnabhängigen zu tun, die für den Verkauf ihrer Arbeitskraft während acht Stunden am Tag und 40 Stunden in der Woche mit dem Mindestlohn in Höhe von 2.570,93 Euro brutto Vorlieb nehmen müssen. Da ist es nicht verwunderlich, dass mehr als 10 Prozent aller Lohnabhängigen, die einer geregelten Arbeit nachgehen, von Armut bedroht sind.

Der zu niedrige gesetzliche Mindestlohn und die Tausenden »Working Poor«, die es inzwischen gibt, sind das Resultat des Klassenkampfes von oben, den das Kapital praktiziert und der umso erfolgreicher ist, als es die Regierung auf seiner Seite weiß. Das gilt nicht nur für die CSV/DP-Regierung, sondern für alle vorigen Regierungen, unabhängig von ihrer politischen Zusammensetzung. Sie nahmen Mindestlohnerhöhungen nur mit dem Tropfenzähler vor und verhinderten strukturelle Erhöhungen, wie sie etwa wiederholt vom OGBL aufs Tapet gebracht wurden, obwohl diese sich angesichts der raschen Entwicklung der Produktivität regelrecht aufgedrängt hätten, um eine Zunahme der Ausbeutung zu verhindern.

Aufgrund dieser Entwicklung ergab sich innerhalb von 20 Jahren ein großer Nachholbedarf, auch weil in dieser Zeit der Index gleich mehrmals manipuliert wurde, und in der Tripartite beschlossene Lohnmäßigungen dazu führten, dass sich die Durchschnittslöhne deutlich langsamer entwickelten, so dass auch die Anpassungen des gesetzlichen Mindestlohnes niedriger ausfielen.

Der Nachholbedarf, der sich seither aufstaute, wurde bis dato nicht aufgearbeitet. Das ist der Grund, weshalb sich – wie bei der Mindestrente – eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes um 20 Prozent aufdrängt, wie das die Kommunisten fordern.

Was für die Mindestrente zutrifft, gilt auch für den Mindestlohn. Eine strukturelle Erhöhung muss erst von den Schaffenden durchgesetzt werden, auch wenn sie eigentlich längst überfällig ist.