EU und USA wollen Wirtschaftskrieg verschärfen
Nach Koordination der westlichen Rußland-Sanktionen sollen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegen China verstärkt werden
Der »EU – U.S. Trade and Technology Council« (TTC) plant nach erfolgreicher Koordination der westlichen Rußland-Sanktionen neue Maßnahmen zur ökonomischen Eindämmung Chinas. Das geht aus einem Entwurf für die Abschlußerklärung des transatlantischen Treffens hervor. Der TTC hat sich nach dem Beginn des Ukraine-Krieges in ein zentrales Gremium zur innerwestlichen Abstimmung über Strafmaßnahmen gegen Rußland verwandelt.
Jetzt soll er zusätzlich Export- und Investitionskontrollen gegenüber China in den USA und der EU koordinieren. Gleichzeitig arbeitet die EU an einer »Economic Security Strategy«, die ebenfalls wirtschaftliche Maßnahmen gegen China ermöglichen soll. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat kürzlich dafür plädiert, Investitionen von Firmen aus EU-Staaten in der Volksrepublik bei Bedarf zu verbieten. Experten sprechen sich für die Gründung einer »geo-ökonomischen NATO« aus.
»G2 für globale Technologiesteuerung«
Der »EU - U.S. Trade and Technology Council« (TTC) geht letzten Endes auf einen Vorstoß der EU zurück, die Ende 2020 – kurz nach dem Sieg von Joe Biden in der Präsidentenwahl – die Gründung eines transatlantischen Gremiums mit dem Ziel vorschlug, die ökonomischen Differenzen der Ära Trump zu überwinden und die Grundlage für eine engere transatlantische Wirtschaftskooperation zu schaffen. Geplant war neben Absprachen zur jeweiligen Ausgestaltung der »Energiewende« auch eine gemeinsame Festlegung auf Technologiestandards mit dem Ziel, in der Weltwirtschaft als mächtiger High-Tech-Block auftreten zu können; von einer »euro-atlantischen Technologieallianz« oder auch von einer »heimlichen G2« für die globale »Technologiesteuerung« war die Rede.
Von Anfang an war es darüber hinaus ein treibendes Motiv, die chinesische Industrie zurückzudrängen. So erklärte etwa Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater von USA-Präsident Biden, es gehe darum, »unsere Ansätze bei Handel und Technologie so anzugleichen, daß die Demokratien und nicht irgendjemand anderes, nicht China oder andere Autokratien, die Regeln für Handel und Technologie für das 21. Jahrhundert schreiben«. Die Gründung des TTC wurde am 15. Juni 2021 auf dem EU-USA-Gipfel in Brüssel beschlossen; das Gründungstreffen fand am 29. September 2021 in Pittsburgh statt.
Front gegen Rußland
Die bisherige Bilanz des TTC ist gemischt. Von einer Linderung oder gar der Beseitigung der transatlantischen Differenzen in Wirtschaftsfragen kann keine Rede sein; bestes Beispiel dafür sind die hunderte Milliarden US-Dollar schweren Investitionsprogramme wie der »Inflation Reduction Act« (IRA), mit denen die Biden-Administration strategisch bedeutende High-Tech-Investitionen aus der EU in die USA saugt und damit zugleich die Bemühungen der EU um eine größere ökonomische Eigenständigkeit untergräbt.
Zugleich ist der TTC aber seit Beginn des vergangenen Jahres, wie es in einer Analyse des Atlantic Council heißt, zum maßgeblichen »transatlantischen Forum für die Koordination von Exportkontrollen gegenüber Rußland« bzw. zur detaillierten Abstimmung der auf beiden Seiten des Atlantik verhängten Rußland-Sanktionen geworden.
»Der TTC hat eine Schlüsselrolle dabei gespielt, eine geeinte Front gegen Rußland zu schaffen«, erklärt Schwedens Außenminister Tobias Billström. Dabei habe es sich auch um einen »Testfall« gehandelt, urteilt EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis. Ob sich eine enge Kooperation auch gegen andere Staaten erzielen lasse, müsse sich zeigen, heißt es beim Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS).
Gegen China
Eine Ausweitung der TTC-Aktivitäten gegen China steht bei dem aktuellen, insgesamt vierten Treffen des Gremiums auf der Tagesordnung, das am Dienstag in Luleå im Norden Schwedens begann. Zwar geht es auch um Maßnahmen, die auf die Stärkung des Westens in der globalen Rivalität zielen; so werden etwa Schritte in Betracht gezogen, um gemeinsam die Entwicklung des nächsten Mobilfunkstandards 6G sowie Regularien für Künstliche Intelligenz (KI) voranzutreiben. Im Vordergrund stehen auf dem TTC-Treffen jedoch Maßnahmen, die ganz einfach China schaden sollen.
So wird berichtet, es sei geplant, die jeweiligen Exportkontrollen enger aufeinander abzustimmen. Faktisch läuft dies auf die Übernahme von Sanktionsvorschriften der USA durch die EU hinaus. Darüber hinaus zielt der TTC darauf ab, westliche Investitionen in der Volksrepublik hart zu regulieren: Man müsse verhindern, »daß das Kapital, das Fachwissen und die Kenntnisse unserer Unternehmen den technologischen Fortschritt strategischer Konkurrenten in einer Weise« unterstützten, die »der eigenen Sicherheit« schade, heißt es in einem Entwurf der Abschlußerklärung. Faktisch sollen damit Investitionen westlicher Unternehmen in China untersagt werden, die China einen umfassenderen technologischen Fortschritt ermöglichen würden.
»Wirtschaftliche Sicherheits-Strategie«
Diesem Ziel öffnet sich unabhängig vom TTC auch die EU. Die Kommission arbeitet derzeit an einem Papier, das als »Economic Security Strategy« firmiert und ausdrücklich verhindern soll, daß modernste Technologien – auch sogenannte Dual Use-Technologien, die sowohl zivil wie auch militärisch verwendet werden können – »in den falschen Händen landen«, wie EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis erklärt. Als Mittel dazu hat schon vor einiger Zeit auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ein »Outbound Investment Screening« plädiert.
Die Maßnahme stößt in einer ganzen Reihe von EU-Mitgliedstaaten auf Ablehnung. Für erhebliche Überraschung sorgte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck, als er am 10. Mai ganz unvermittelt seine Position änderte und sich für Kontrollen deutscher Investitionen im Ausland offen gab. Dombrovskis urteilt, es werde nicht ganz leicht sein, EU-weit einheitliche Export- und Investitionskontrollen festzulegen – denn die Mitgliedstaaten seien darauf bedacht, zentrale Hoheitsrechte zu wahren und sie nicht an Brüssel zu übertragen. Allerdings gebe es inzwischen einen Präzedenzfall: Gegen Rußland habe die Einführung gemeinsamer Zwangsmaßnahmen »ziemlich gut funktioniert«.
»Geo-ökonomische NATO«
Unter Außenpolitik-Experten wird mit Blick auf derlei Zwangsmaßnahmen inzwischen die Schaffung einer »geo-ökonomischen NATO« diskutiert. So heißt es in einem aktuellen Papier aus dem European Council on Foreign Relations (ECFR), einer außenpolitischen Denkfabrik mit Hauptsitz in Berlin, »im Jahrhundert des Wettbewerbs zwischen China und dem Westen« werde »das Reich der Geo-Ökonomie wahrscheinlich die zentrale Front«.
Die Autoren des Papiers sprechen sich dafür aus, zur Entscheidungsfindung über etwaige wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen ein gemeinsames Forum zu gründen, eben eine »Geo-ökonomische NATO«; das sei dem jetzigen Zustand vorzuziehen, in dem faktisch die USA über Sanktionen und Investitionskontrollen entschieden und dann die Staaten »Europas« zur Übernahme ihrer Regularien drängten. Führe man Diskussionen gemeinsam und entscheide dann im Bündnis, könne man mit größerer Schlagkraft auftreten, urteilt der ECFR – nicht zuletzt gegenüber China.