Wachsende Proteste gegen sozialen Kahlschlag in Italien
Die Regierenden wollen die Opposition beschwichtigen
Unter der faschistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni übertrifft der Sozialschlag alles bisher Dagewesene. Jüngstes Beispiel ist das so genannte »Beschäftigungsdekret«, mit dem seit dem 28. Juli weitere 169.000 Familien ohne jedes Einkommen dastehen, weil ihnen das »Staatsbürgerschaftseinkommen« entzogen wird und sie für »beschäftigungsfähig« erklärt werden, berichtete kürzlich das Nationalinstitut für Soziale Fürsorge (INPS).
Die weitere Abwälzung der Krisenlasten auf die Ärmsten der Armen führt zu anhaltenden Protesten, so in der südlichen Provinz Catania, wo 9.000 Familien per SMS, erfuhren, daß sie in absolute Armut fallen werden. In Rom, nach Neapel die zweitgrößte Stadt Italiens, die von den Suspendierungen betroffen ist, mobilisierte die Gewerkschaft Unione Sindacale di Base (USB) zum Widerstand gegen diesen neuen »direkten Angriff auf die vielen, die in diesem Land aufgrund struktureller Arbeitslosigkeit keinen Arbeitsplatz finden oder in den letzten Jahren gezwungen waren, für unterbezahlte oder nicht angemeldete Löhne zu arbeiten«, schreibt das linke Magazin »Contropiano«.
Regierungschefin Meloni versucht zu beschwichtigen und will sich mit der Opposition treffen. Die staatliche Nachrichtenagentur ANSA berichtete am Dienstag von der »Möglichkeit eines Vergleichs« und nannte den 11. August als Termin. Giuseppe Conte, der frühere Premierminister und heutige Chef der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) bezweifelt, daß Meloni nachgeben wird und erklärte laut »Il Manifesto«, mit ihrer Unnachgiebigkeit habe sie ihr »wahres Gesicht« gezeigt. Ob Conte oder die Sekretärin des sozialdemokratischen PD, Elly Schlein, an einem möglichen Treffen mit der Regierungschefin teilnehmen werden, ist offen. Lediglich der Leiter des Dritten Pol, Aktionsparteichef, Carlo Calenda, hat sich dazu bereit erklärt und sagte gegenüber ANSA, er werde auch allein zum Palazzo Chigi gehen, wenn die anderen Parteien »aussteigen« sollten.
Laut INSP führt Meloni einen »Krieg gegen die Armen«, von dem bereits 7 Millionen Menschen, die schon jetzt unterhalb der Armutsgrenze leben müssen, betroffen sind. Dieses Armutsrisiko werde aufgrund der Inflation weiter wachsen, denn die meisten Erwerbstätigen sind über 55 Jahre, und in diesem Alter ist es so gut wie unmöglich, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Die Generalsekretärin der Gewerkschaft CGIL von Neapel und Kampanien, Nicola Ricci, verweist darauf, daß nicht nur Millionen Rentner, Arbeitslose und »sozial Schwache«, sondern auch die, die eine Arbeit haben, unter den bereits auf sie abgewälzten Krisenlasten ächzen, und sie spricht von »einer sozialen Bombe«.
Laut dem staatlichen Statistikamt Istat liegen die Löhne in Italien um zwölf Prozent unter dem EU-Durchschnitt. Das bedeutet, daß dort Beschäftigte – im Durchschnitt – jährlich rund 3.700 Euro weniger als ihre Kollegen in anderen EU-Staaten erhalten. Etwa fünf Millionen Lohnabhängige in Italien müssen von Stundenlöhnen unter zehn Euro leben.
Zum Himmel schreiend ist die Lage der jungen Menschen in Italien. Die Verbraucherorganisation Federcontribuenti berichtete, daß 54 Prozent der unter 30-Jährigen weniger als 7 Euro netto pro Stunde verdienen, unter ihnen bis zu 29 Prozent Teilzeitkräfte und Auszubildende. Sie haben kein angemessenes oder gar kontinuierliches Einkommen, wenn sie Arbeit haben, verdienen sie durchschnittlich 100 - 120 Euro netto pro Woche. Italien ist »das EU-Land mit den niedrigsten Löhnen, und die Beschäftigten werden über nationale Tarifverträge vorsätzlich ausgebeutet«, berichtet der Verband, der zusätzlich anmerkt, daß mit über 1,3 Millionen Teilzeitverträgen immer mehr jungen Beschäftigten die Möglichkeit genommen wird, eine Wohnung zu mieten und eine Familie zu gründen, denn dazu braucht man einen festen Arbeitsplatz und ein angemessenes Gehalt.
Der jüngste Beschluß der Regierung, zusätzliche Gewinne von Banken mit einer Einmalsteuer von 40 Prozent zu belegen, wird kaum etwas an der gesamten Misere ändern. Selbst wenn von den möglicherweise »Milliarden Euro«, von denen der Vizepremier Salvini am Dienstag vor der Presse sprach, einiges Geld bei den von Armut Betroffenen ankommen sollte, dann wird das nicht mehr sein als ein Tropfen auf dem heißen Stein, und es wird grundsätzlich nichts am Krieg gegen die Armen ändern. Denn die Regierung braucht das Geld dringend, um Löcher im Haushalt zu stopfen, die auch durch die Waffenlieferungen an die Ukraine und die Erhöhung des Militäretats entstanden sind und weiter entstehen werden.