Leitartikel14. September 2023

Säbelrasseln an der NATO-Ostflanke

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Während drei Monate nach Beginn der ukrainischen »Frühjahrsoffensive« im Westen die Hoffnung auf einen raschen Sieg Kiews zusehends schwindet, und am Sonntag sogar Antony Blinken, der Außenminister ihres bislang wichtigsten Waffenlieferanten USA, im Fernsehsender ABC erklärt hat, »die Ukraine« sei »bereit, mit der Russischen Föderation zu verhandeln, wenn die russische Seite dies vorschlägt«, findet an der NATO-Ostflanke ein Marinegroßmanöver unter deutscher Führung statt, das die bundesdeutsche Admiralität als »klares Signal an Moskau« verstanden wissen will.

Am Montag, heißt es auf der Internetseite der Bundeswehr, habe mit dem Auslaufen der Schiffe des Manöververbands aus dem baltischen Riga die Seephase von »Northern Coasts 2023« begonnen. Das sei der eigentliche Beginn der zweiwöchigen »maritimen Großübung in der zentralen Ostsee, an der rund 30 Marineschiffe von 14 Nationen beteiligt sind«. Die rund 3.200 teilnehmenden Soldaten kommen nicht nur aus NATO-Ländern, die ans Baltische Meer grenzen, sondern auch aus den USA, Frankreich, Italien und Kanada.

Manöver unter dem Codenamen »Northern Coasts« gibt es seit 2007. Doch die aktuelle Kriegsübung, die vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges stattfindet, weist eine grundlegende Besonderheit auf. Erstmals liege dem Szenario ein »Bündnisfall« zugrunde, hat der deutsche Manöverkommandant, Flottillenadmiral Stephan Haisch, betont.

Bewußt sei der Manöverschwerpunkt in diesem Jahr vor die Küsten Estlands und Lettlands gelegt worden – einschließlich vorgelagerter Seegebiete, die russische Schiffe aus der Region um St. Petersburg nutzen müssen, um über die Ost- und die Nordsee in Richtung Atlantik zu fahren oder auch nur um die zwischen den NATO-Staaten Polen und Litauen gelegene russische Exklave Kaliningrad auf dem Seeweg zu versorgen.

Angenommener Ausgangspunkt von »Northern Coasts 2023« ist die feindliche Blockade eines Handelsschiffs. Es folgt ein Angriff auf Kriegsschiffe der NATO und die Eskalation nimmt ihren Lauf. Eine Begrenzung des Konflikts scheint nicht mehr möglich, denn im Übungsszenario ist sogar das Anlanden von Bodentruppen an der NATO-Ostflanke vorgesehen.

Gleichzeitig soll das Marinegroßmanöver ganz offensichtlich deutsche Vorherrschaftsansprüche im Gebiet der ersten deutschen Ostkolonisation im Mittelalter untermauern. Dazu paßt, daß die BRD der NATO kurz vor Manöverbeginn die »Fähigkeit« der bundesdeutschen Kriegsmarine »zur Führung von Seestreitkräften in einem regionalen maritimen Hauptquartier« signalisiert hat.

Auch die »Northern Coasts«-Manöverserie wurde drei Jahre nach dem EU- und NATO-Beitritt der ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken im Jahr 2004 von Deutschland initiiert, um möglichst alle Anrainer des Binnenmeeres außer Rußland unter sein Kommando zu bringen.

Stand dabei anfangs angeblich der Kampf gegen Piraten und Terroristen im Vordergrund, so hat sich der Fokus seit dem Maidan-Putsch in Kiew 2014 auf einen wieder möglichen Krieg gegen Rußland verschoben, der freilich wie bei »Northern Coasts 2023« noch als »Bündnisfall« verklausuliert wird.

Schon für das kommende Frühjahr plant die NATO an ihrer Ostflanke eine noch größere Kriegsübung. Bei »Steadfast Defender 2024« sollen 50 Marineschiffe und 41.000 Soldaten zum Einsatz kommen.