Luxemburg14. September 2024

Gewerkschaftliche Stimmen zum Schulanfang:

SEW/OGBL: »Personaldelegationen im öffentlichen Dienst müssen gestärkt werden!«

Gespräch mit Vera Dockendorf, Gewerkschaftssprecherin und Mitglied der Leitung des SEW/OGBL

von Alain Herman

Bildungsminister Meisch hat nach vielen Jahren endlich das Thema »exzessiver Medienkonsum« entdeckt und für die Grundschulen ein generelles »Handyverbot« deklariert. Den Sekundarschulen überlässt er gemäß seines liberalen »Autonomie«-Konzepts die Initiative bei der Ausarbeitung eines »Smartphone«-Reglements. Wie sieht das SEW diesen plötzlichen Aktivismus? Kämpft der Minister nicht auch gegen die Geister, die er selbst heraufbeschworen hat?

Im Grunde reagiert Minister Meisch mit dem sogenannten Handyverbot nur auf eine Entwicklung, vor der das SEW bereits vor zehn Jahren gewarnt hat. Reduziert wird die Diskussion jedoch auf das Smartphone, vom Tablet bzw. »Ipad« und anderen digitalen Geräten ist jedoch nicht die Rede. Diese wurden gerade unter Meisch in das Schulwesen eingeführt. Gewiss, der Medienkonsum mag im unterrichtlichen Kontext weniger exzessiv sein. Es besteht keinerlei Konzept, was den konkreten pädagogisch-didaktischen Einsatz der Tablets im Unterricht anbelangt. Es fungiert zumeist nur als Ersatz für Heft und Buch. Eine sogenannte »Screen-Life-Balance«, um Meischs neues Modewort zu gebrauchen, kann dergestalt nicht umgesetzt werden. Die Bildschirmzeit der Kinder und Jugendlichen wird im Grunde nur erhöht, über die »Teams«-App trudeln zudem vom Unterricht ablenkende Nachrichten ein. Die physische Trennung vom Handy ist ja auch keine wesentliche Neuheit, da sie bereits seit über zehn Jahren durch ein Reglement vorgeschrieben ist und die Lehrkräfte bei der unerlaubten Nutzung von Handys im Unterricht Maßnahmen ergreifen dürfen.

Eine Staffelung des Handyverbots nach Altersstufen respektive nach Zyklen in der Sekundarschule wäre in unseren Augen sinnvoller, das heißt ein striktere Handyreduktion im cycle inférieur als im cycle supérieur. Die etwas älteren Schüler sollen lernen, verantwortungsvoll mit dem Medium umzugehen. Darüber hinaus sind etliche schulische Ressourcen nur noch auf digitalem Weg zugänglich oder einsehbar, zum Beispiel Stundenpläne und Hausaufgaben. Um, wie vom Ministerium angestrebt, den sozialen Austausch unter den Schülern zu stärken, bedarf es indes weiterer Schritte, unter anderem könnte über ein Handyverbot während verschiedener Pausen nachgedacht werden, nur so kann eine neue soziale Dynamik innerhalb der Schülerschaften an den verschiedenen Lyzeen entstehen. Das Ministerium müsste in diesem Zusammenhang also noch mehr unternehmen und einen gesetzlichen Rahmen für diese Änderungen erstellen. Insgesamt begrüßen wir als SEW diese Kampagne, bemängeln aber die fehlende Kohärenz.

Anlässlich der Pressekonferenz zum Schulanfang hat Meisch auch verkündet, das zweisprachige Alphabetisierungsmodell für die Rentrée 2025/2026 landesweit zu implementieren. Handelt es sich in sozialer sowie pädagogisch-didaktischer Hinsicht um den richtigen Weg? Sind die Grundschulen mit ihren Lehrern darauf vorbereitet?

Das Bildungsministerium gibt vor, mit der Alphabetisierung auf Französisch fundamental gegen Bildungsungerechtigkeit vorzugehen. In den Augen des SEW ist das nicht der Fall. Das eigentliche Problem bei der komplexen Sprachensituation in Luxemburg ist, dass bei allen Schülern ein Erstsprachniveau in allen Unterrichtssprachen angestrebt wird. Diese Zielsetzung ist nicht realistisch und stellt für eine Reihe von Schülern ein unüberwindbares Hindernis dar. Eine Gewichtung der Sprachen ist in unseren Augen hier der richtige Weg.

Das SEW fordert auch schon seit Längerem ein wohl überlegtes Sprachenkonzept von C1 bis 1ère. Kinder werden im Kleinkindalter in den Betreuungsstrukturen mit dem Französischen vertraut gemacht, im C1 wird dann das Luxemburgische massiv gefördert. Außerdem geht man von der Brückenfunktion, für die es keinen wissenschaftlichen Befund gibt, aus; im Glauben, die Alphabetisierung auf Deutsch könnte so funktionieren. An diesen Stellschrauben hätte man unserer Meinung nach auch drehen sollen.

In unseren Augen müsste man auch die erste Kohorte des Pilotprojekts die vier Zyklen der Grundschule gänzlich durchlaufen lassen, um dann bei der Auswertung zu analysieren, ob durch die Alphabetisierung auf Französisch wirklich mehr Schüler auf höhere Sekundarstufen orientiert werden konnten.

Die Alphabetisierung auf Französisch wird sicher einer gewissen Anzahl von Schülern entgegenkommen, die eine romanophone Muttersprache haben. Für die Kinder aus bildungsfernen Familien mit niedrigem SES braucht es aber tiefgreifendere Maßnahmen, wenn man das Bildungssystem gerechter machen will. Dazu gehört zum Beispiel ein konsequentes Screening im frühkindlichen Alter mit konsequenter Förderung, und dies besonders bei Risikofamilien.

Die Alphabetisierung auf Französisch wird die Schulen vor große organisatorische Herausforderungen stellen. Hier braucht es ein gut durchdachtes Konzept, um mit den vorhandenen Ressourcen die Alphabetisierung in zwei Sprachen zu stemmen.

An den Sekundarschulen sind in den vergangenen Jahren verstärkt Mobbingfälle aufgetreten. Liegen dieser Entwicklung eventuell Mängel struktureller Natur zugrunde? Wie kann das Problem gewerkschaftlich angegangen werden?

Die Antwort auf die Frage, wieso sich solche Fälle aktuell häufen, ist vielschichtig. Zum einen liegt es daran, dass die Personaldelegationen in den Sekundarschulen im Jahr 2016 durch eine Reform geschwächt wurden und kaum Handlungsspielraum genießen. Außerdem genießen Personalvertreter im öffentlichen Dienst keinen speziellen Kündigungsschutz. Die Personaldelegationen haben auch nicht die Möglichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren, wie es im Privatsektor der Fall ist. Auch das schwächt sie. Zudem muss Luxemburg dringend an der Umsetzung der EU-Konvention 151 arbeiten: Gewerkschafts- und Personalvertreter dürfen keine Nachteile durch Ausüben ihrer Funktion haben und sollen vor Angriffen seitens der Vorgesetzten gesetzlich geschützt sein.

Zum anderen stieg in den vergangenen Jahren der Anteil an Staatsangestellten in den Sekundarschulen, während der Anteil an Beamten sank. Angestellte, die vor weniger als zehn Jahren einen unbefristeten Arbeitsvertrag beim Staat unterzeichneten, haben so gut wie keinen Kündigungsschutz. Ihr Vertrag kann beim geringsten Fehlverhalten gekündigt werden. Ein Schutz vor dem »Licenciement abusif« besteht im öffentlichen Dienst ebenfalls nicht. Aufgrund dieser Tatsache können sich viele dieser Angestellten weniger zur Wehr setzen, wenn ihr Arbeitsrecht angegriffen wird, was wiederum manchen Vorgesetzten dazu verleitet, das Arbeitsrecht von Angestellten mit Füßen zu treten. Aus diesem Grund fordert das SEW/OGBL unter anderem für Angestellte den gleichen Kündigungsschutz wie für Staatsbeamte.

Des Weiteren existiert im öffentlichen Dienst keine funktionierende Anlaufstelle für Mobbingopfer: Die hierfür per Gesetz im Juli 2007 gegründete Commission spéciale besteht de facto durch ein Urteil des Verfassungsgerichts nicht mehr, da der ursprüngliche Gesetzestext diese Kommission nur als Anlaufstelle für Staatsbeamte und Staatsangestellte vorsah, die Gemeindebeamten aber vergessen wurden. Das SEW fordert, dass der alte Gesetzestext entsprechend erweitert und angepasst wird, so dass diese Kommission endlich ihre Arbeit aufnehmen kann, denn Mobbing ist leider keine Seltenheit im öffentlichen Dienst!

Um den Versäumnissen der Regierung entgegenzuwirken, hat das SEW eine umfassende Kampagne zum Thema Mobbing und Wohlbefinden der Lehrkräfte gestartet.

Auf welchen Gebieten der Sekundarschule wird das SEW im kommenden Jahr den gewerkschaftlichen Druck erhöhen müssen?

Wir werden uns vor allem für eine funktionierende Anlaufstelle für Mobbingopfer einsetzen und eine große Umfrage zum Wohlbefinden der Lehrkräfte starten. Wir werden noch stärker auf die Vernetzung innerhalb der verschiedenen Sekundarschulen setzen und Lehrkräfte dort unterstützen, wo es notwendig ist. Wir werden uns für einen besseren Kündigungsschutz für Staatsangestellte einsetzen und eine Stärkung der Personalvertretungen fordern. Weitere Themenschwerpunkte werden die Voie de Préparation, die Berufsausbildung und öffentliche internationale Schulen sowie die Reform des Cycle inférieur sein.