Luxemburg11. Januar 2025

Da haben die Wähler Schluß gesagt

Auch Schweizer Gewerkschaften wehren sich seit Jahrzehnten gegen längere Öffnungszeiten im Handel – und haben in den Kantonen drei von vier Abstimmungen gewonnen

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Wie hierzulande auch müssen sich die Gewerkschaften in der Schweiz seit Jahrzehnten gegen immer neue Anläufe des Patronats wehren, die Ladenöffnungszeiten zu Lasten der Verkäuferinnen und Verkäufer auf spätabends und sonntags auszuweiten. Oft greifen die eidgenössischen Salariatsvertreter dabei auf nationale oder kantonale Referenden zurück, in denen in der Alpenrepublik über jedes von der Regierung vorgeschlagene Gesetz abgestimmt werden kann.

Schon am 14. April 1961 beklagte die großbürgerliche und entsprechend patronatsfreundliche »Neue Zürcher Zeitung« in ihrer Mittagsausgabe, »die öffentliche Ordnung« verhindere »eine Anpassung der Ladenöffnungszeiten an die Bedürfnisse einzelner Branchen«. Weil auch der »berufstätigen Hausfrau« nach Büro- oder Fabrikschluß »fast keine Zeit für ihre Kommissionen« bleibe, sei »der Einführung der Abendladenöffnung alle Aufmerksamkeit zu schenken«.

Trotz dieses NZZ-Diktums brauchten die Turbo-Lädeler, wie die Handelskapitalisten, die auf längere Öffnungszeiten drängen, und ihre Freunde in den Regierungen in der Schweiz genannt werden, nicht weniger als 14 Anläufe, um ein Referendum zu gewinnen, nach dem die Geschäfte an 39 Bahnhöfen und Flughäfen auch am Sonntag öffnen dürfen. Das war 2005 und das Ergebnis des landesweiten Referendums fiel mit 50,6 Prozent für die in der »IG Freiheit« zusammengeschlossenen Turbo-Lädeler denkbar knapp aus. Im Wahlkampf vor dem Urnengang hatte André Daguet, Mitglied der Exekutive der Unia, der größten Gewerkschaft des Landes, argumentiert: »Daß man am Sonntag ein Joghurt kaufen kann im Bahnhof, finde ich gut, aber gleich auch noch den Kühlschrank dazu? Das ist unsinnig!«

Der vorerst letzte Vorstoß der Turbo-Lädeler fand im Ostschweizer Kanton St. Gallen statt. Dort fordert die bürgerliche Mehrheit im Kantonsparlament die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten auf 5 Uhr morgens bis 22 Uhr abends an Wochentagen und samstags bis 18 Uhr. Doch ist es der linken Parlamentsminderheit im Dezember gelungen, ein Referendum durchzusetzen, in dem die St. Galler Wählerinnen und Wähler wohl in diesem Frühjahr entscheiden dürfen.

In ihrer Mitgliederzeitschrift »work« hat die Unia im Weihnachtsgeschäft unmittelbar Betroffene gefragt, was sie von dem Vorstoß der Turbo-Lädeler halten. Der stellvertretende Filialleiter eines Sportgeschäfts in der Kantonshauptstadt St. Gallen erklärte, für ihn sei es jetzt schon schwierig, Berufs- und Privatleben unter einen Hut zu bringen. »Ich und mein Team arbeiten unter großem Druck. Teilweise sollen wir nur zu zweit im ganzen Laden bedienen – den ganzen Tag«. Schon der Gedanke an noch längere Ladenöffnungszeiten bereite ihm Bauchschmerzen: »Meine Freundin arbeitet auch im Verkauf, und so hätten wir noch weniger Zeit zusammen. Dieser Job kostet mich jetzt schon viel von meinem Privatleben.«

Doch die Unia in St. Gallen, die wie andere Gewerkschaften, kirchliche Verbände, linke und christliche Parteien sowie Arbeitsmediziner dem Verband Freier Sonntag Schweiz angehört, sieht dem Referendum im Kanton St. Gallen mit großer Zuversicht entgegen. Wie es in ihrer »work« weiter heißt, sind in den vergangenen 18 Jahren landesweit nicht weniger als drei von vier Volksbefragungen zugunsten der Gegner längerer Ladenöffnungszeiten ausgefallen, während die Turbo-Lädeler oft krachende Niederlagen an der Urne einfuhren.