In der Schuldenfalle
Afrikanische Staaten stehen vor neuer Schuldenkrise. Westen will China als Verursacher anprangern, doch das ist ein Ablenkungsmanöver
Der Strudel wird immer schneller: 30 Milliarden US-Dollar Schulden, so berichtete das »Handelsblatt« vor einigen Tagen, müssen die 160 Schwellen- und Entwicklungsländer allein im kommenden Jahr zurückzahlen. 2025 werden dann laut einer Studie der niederländischen ING Bank gar Kredite in Höhe von 39 Milliarden US-Dollar fällig. Da die Staaten dieses Geld nicht haben, müssen sie die alten Kredite durch neue ablösen – und zwar in der Regel zu deutlich höheren Zinssätzen. Es drohen Staatspleiten.
Dabei schränken die hohen Schulden den Handlungsspielraum der betroffenen Regierungen schon heute drastisch ein. Das läßt sich aus den Dimensionen ablesen, die allein für Zinszahlungen aufgebracht werden müssen. Stellvertretend für zahlreiche ähnlich betroffene Länder zitiert das »Handelsblatt« den ghanaischen Finanzminister Ken Ofori-Atta, der erklärte, daß das westafrikanische Land inzwischen »mehr als die Hälfte der gesamten Staatseinnahmen und fast 70 Prozent der Steuereinnahmen« für das Bedienen seiner Kredite aufwenden muß.
Das Perfide an der Schuldenfalle: Die Schulden steigen dadurch schneller als die Wirtschaftsleistung, was dazu führt, daß das Kartell der globalen Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit der Staaten herabstuft. Als Folge daraus müssen diese Staaten dann wieder höhere Zinsaufschläge zahlen, um überhaupt noch an »frisches« Geld zur Ablösung auslaufender Kredite zu gelangen – der Teufelskreis ist perfekt.
Verschärft wurde die Krise in den vergangenen Jahren zum einen durch die Corona-Pandemie und zum anderen durch drastisch gestiegene Preise für Energieträger sowie Handelsbehinderungen infolge der westlichen Sanktionen gegen Rußland in Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Um die Folgen der Pandemie abzufedern, mußten sich viele Staaten noch stärker verschulden, haben nun aber nicht die Mittel, diese Kredite abzuzahlen. Da zudem weltweit die Zinsen steigen, potenziert sich das Problem. Schon im vergangenen Jahr bilanzierte die Afrikanische Entwicklungsbank, daß 23 der 38 afrikanischen Länder, zu denen ihr Daten vorlagen, Zinsen entweder nicht mehr bedienen konnten oder kurz vor dem Zahlungsausfall standen.
Die kapverdische Ökonomin und UNO-Sonderberaterin für Afrika, Cristina Duarte, hält dem jedoch entgegen, daß nicht externe Krisen, sondern strukturelle Schwächen der Finanzsysteme zur derzeitigen Schuldenkrise geführt hätten. So würde einerseits die afrikanische Mittel- und Oberschicht ihr Geld in Fonds anlegen, die wiederum dieses Geld außerhalb des Kontinents investierten. Zudem litten die Staaten des Kontinents darunter, daß Geld an der Steuer vorbei illegal ins Ausland transferiert würde. Das Grundübel laut Duarte, wie es die österreichische Tageszeitung »Der Standard« im März dieses Jahres in einem Bericht von der UNO-Konferenz zu den am wenigsten entwickelten Ländern in Doha zitierte: »Afrika kontrolliert seine Finanzströme nicht selbst.«
UNO-Generalsekretär António Guterres erneuerte daher in Doha seine bereits mehrfach geäußerte Forderung, das internationale Finanzsystem dringend zu reformieren, weil es in seiner derzeitigen Form vor allem »den Interessen der reichen Länder« diene.
Der Westen begnügt sich im Wesentlichen mit einem passenden Sündenbock: China. So befand beispielsweise der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD im Mai 2022 auf dem »Katholikentag« in Stuttgart, »die nächste große Schuldenkrise des globalen Südens« stamme »aus Krediten (…), die China weltweit vergeben hat und selbst nicht ganz überblickt«, (…) »da so viele Akteure dabei sind«.
Tatsächlich haben chinesische Staatsbanken in den vergangenen Jahren verstärkt Kredite an arme Länder vergeben. Laut einer Studie der britischen Nichtregierungsorganisation »Debt Justice« vom Juli 2022 liegen jedoch lediglich zwölf Prozent der Auslandsschulden afrikanischer Staaten, die noch immer das Gros der ärmsten Länder der Welt ausmachen, bei chinesischen Institutionen. 35 Prozent, also fast dreimal so viel, haben private Gläubiger in westlichen Industrieländern verliehen.
Vor allem der Anteil an Schulden bei nichtstaatlichen Institutionen, also hauptsächlich Fonds, ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark angestiegen. Problematisch ist das nicht nur, weil diese laut »Debt Justice« etwa doppelt so hohe Zinsen verlangen wie chinesische Banken, sondern weil Entschuldungsinitiativen so ins Leere laufen. China für die Schuldenkrise in Afrika verantwortlich zu machen, sei ein »Ablenkungsmanöver« westlicher Staatenlenker, erklärte Tim Jones von »Debt Justice«.