Ausland16. März 2023

Keine Räume für Kritik

Die Propagandamaschine läuft rund um die Uhr. Wer widerspricht, darf nicht mehr auftreten

von Björn Blach

Zuerst traf es vor allem russische Künstler: Wer sich nicht öffentlich zum NATO-Narrativ bekannte, wurde aus dem westlichen Kulturbetrieb ausgeschlossen. Inzwischen trifft es all diejenigen, die den Thesen widersprechen, »Putin« trage die alleinige Schuld am Krieg und immer weitere Waffenlieferungen brächten die Lösung.

Einige werden vor den Kadi gezogen, andere werden öffentlich an den Pranger gestellt. Die vorgebrachten Anschuldigungen sind dabei dünn, werden dafür aber mit umso größerer Inbrunst in Medien und sozialen Netzwerken verbreitet. Vor allem Künstler und Intellektuelle, die sich zuvor schon kritisch gegenüber Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie geäußert hatten, sind derzeit im Fokus.

Eine von ihnen ist die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. In ihrer Vita tauchen etliche Thinktanks des »Wertewestens« auf. Ihr Hauptthema war lange Zeit die Weiterentwicklung der EU. Damit war sie auch beliebter Talkshowgast. Während der Pandemie änderte sich das. Nach ihren Hinweisen auf die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs und der mindestens Mitverantwortung der NATO wurde sie zum Abschuß freigegeben. Erst wurde sie aus der Jury des NDR-Sachbuchpreises geworfen. Inzwischen hat die Universität Bonn eine Kündigung gegen Ulrike Guérot ausgesprochen. Begründet wird dies mit Plagiatsvorwürfen. Sie soll in nichtwissenschaftlichen Büchern Zitate unzureichend gekennzeichnet haben. Sie wäre die erste, die deswegen ihre Arbeit verlöre.

Schon länger wird gegen den Schweizer Historiker Daniele Ganser vorgegangen. Veröffentlicht hat er zu den NATO-Geheimarmeen in Europa und ihren Verbindungen zum Terrorismus. Er zweifelt an der offiziellen Version der Anschläge auf das World-Trade-Center in den USA 2001 und hat die Kriege der USA, die unter diesem Vorwand geführt wurden, scharf kritisiert. Genauso verweist er auf die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs und sieht die Verantwortung bei den USA. Neben Verschwörungstheorien und Antisemitismus wird ihm jetzt »Putin-Propaganda« vorgeworfen. Mit dieser Begründung kündigten mehrere Vermieter die zuvor geschlossenen Verträge für Vortragsveranstaltungen, so etwa die Westfalenhallen in Dortmund.

Daniele Gansers Geschäftsmodell ist Selbstvermarktung. Er schreibt Bücher, die er selbst vertreibt, und hält Vorträge im deutschsprachigen Raum – Eintritt zwischen 30 und 40 Euro. Meistens referiert er vor ausverkauftem Haus. Seine Argumentation ist bürgerlich, teilweise gleitet sie ins Esoterische ab. Seine Handlungsorientierung bleibt häufig dünn. Die Argumente seiner Gegner sind allerdings leicht zu durchschauen. »Das Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus« aus Dortmund erklärt zu Gansers Auftritt, er sei zwar »nie mit offen antisemitischen Aussagen in Erscheinung getreten«, verbreite aber Theorien, »die eine Nähe zu antisemitischen Verschwörungserzählungen aufweisen und bei Personen, die hierfür empfänglich sind, auf fruchtbaren Boden fallen«.

Ähnliche Vorwürfe werden seit längerem dem britischen Musiker und Mitbegründer der Band Pink Floyd, Roger Waters, gemacht. Seit seine Unterstützung der Kampagne »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS) gegen die israelische Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten bekannt geworden ist, wird auch ihm Antisemitismus vorgeworfen. Auch Roger Waters werden dabei keine antisemitischen Aussagen zugeordnet. Kritik am Handeln des Staates Israel, die aufgrund des Völkermordes der deutschen Faschisten an den Juden nicht geäußert werden dürfe, reicht. Ähnliches gelte für die USA: sie agierten als Schutzmacht Israels – das rechtfertige ihr Handeln. Letztendlich erstreckt sich diese Art der Argumentation auch auf den Antikapitalismus. Dieser sei ebenfalls antisemitisch, da es ja auch jüdische Kapitalisten gebe.

Anfang Februar sprach Roger Waters auf Einladung Rußlands vor dem UNO-Sicherheitsrat. Er setzte sich für Friedensverhandlungen ein und gab dem Westen eine Mitschuld am Krieg. Damit erreichte die Hexenjagd gegen ihn ihren Höhepunkt. Der Veranstaltungsort für das Konzert seiner Europatournee in Frankfurt wurde schon gekündigt. In Berlin, Köln und München wird darüber diskutiert. Neben den obligatorischen Vorwürfen von »Antisemitismus« und »Putin-Propaganda« wird Roger Waters als Spinner und »traumatisiert« diskreditiert.

Diese Kampagnen von Politik und Medien, die einen äußerst engen Rahmen des Sagbaren vorgeben, engen die »Meinungsfreiheit« auf das westliche Narrativ ein. Andere Meinungen sind nicht nur zum Abschuß freigegeben. Wer sich trauen sollte, sie zu äußern, wird an seiner Lebensgrundlage gepackt.

Der Entzug von Auftrittsmöglichkeiten ist die Ausweitung der Berufsverbotspraxis in neuer Form. Diejenigen, die am eifrigsten die Verteidigung der Demokratie fordern, zerstören mit dem Vorschlaghammer die Grundrechte.