Gewerkschaften mobilisieren gegen »Rentenreform«
Zweiter Streik- und Aktionstag in Frankreich noch massiver als der erste. Nächste Aktionstage am 7. und am 11. Februar
Der zweite landesweite Streik- und Aktionstag am Dienstag gegen die »Rentenreform« war noch massiver als der erste am 19. Januar. Nach Angaben der Gewerkschaften beteiligten sich etwa 2,8 Millionen Menschen an den rund 250 Demonstrationen im ganzen Land, während es vor zehn Tagen 2 Millionen bei 200 Demonstrationen waren. Auffallend war die verstärkte Mobilisierung in kleinen und mittelgroßen Städten.
Diesmal nahmen auch mehr junge Menschen teil, denn dem Aufruf der acht größten Gewerkschaften des Landes zu Streiks und Demonstrationen hatten sich diesmal auch ein Dutzend Jugendverbände angeschlossen. Die Beteiligung an den Streiks, die sich erneut auf den öffentlichen Dienst und die staatseigenen Betrieben konzentrierte und weniger die Privatwirtschaft erfaßte, war wieder massiv, lag aber leicht unter der vom 19. Januar. Das erklären die Gewerkschaften damit, daß immer mehr Franzosen es sich angesichts der Inflation und der Energiepreisexplosion nicht leisten können, auf einen Tag Lohn zu verzichten.
Bei der Bahn fiel im Schnitt ein Drittel der fahrplanmäßigen Züge aus und der Flugverkehr war um etwa zehn Prozent eingeschränkt. Bei den Raffinerien, wo die CGT die dominierende Gewerkschaft ist, lag die Streikbeteiligung je nach Standort zwischen 75 und 100 Prozent. Die Beschäftigten der Energiebetriebe drosselten die Stromversorgung im Umfang der Leistung von drei Kernkraftwerken. Zahlreiche Schulen mußten geschlossen bleiben, weil viele Lehrer streikten und im Schnitt jeder zweite von ihnen fehlte.
Einem Aufruf des PCF-Vorsitzenden Fabien Roussel folgend, hatten die Bürgermeister vieler – nicht nur kommunistisch geführter – Städte und Gemeinden das Rathaus geschlossen und den Kommunalarbeitern frei gegeben, damit sie ohne Lohnverlust an den Demonstrationen teilnehmen konnten. Die Regierung reagierte besonders verärgert darauf, daß sich dieser Initiative auch die sozialistische Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, angeschlossen hat.
Am Rande der Demonstration in Marseille, an der diesmal mehr als 200.000 Menschen teilnahmen, während es am 19.1. knapp 150.000 gewesen sind, erklärte Jean-Luc Mélenchon, der Gründer der Bewegung La France insoumise (LFI): »Dies ist ein ganz besonderer Tag mit einer beeindruckenden Massenmobilisierung durch die Gewerkschaften. Damit treten wir in eine neue Phase des Kampfes gegen die ungerechten Reformpläne ein.« Mélenchon kündigte an, daß LFI im Parlament einen Antrag auf Durchführung eines Referendums über die geplante Rentenreform einbringen wird. »Ich bin überzeugt, daß immer mehr Franzosen begreifen, daß sie ganz persönlich betroffen sind und daß sie sich mobilisieren müssen, um Macrons Reformpläne zu Fall zu bringen«, sagte Mélenchon.
Am Mittwochabend kamen die Vertreter der Gewerkschaften zusammen, um Bilanz zu ziehen. »Dieser Tag hat einmal mehr gezeigt, daß eine wachsende Zahl von Franzosen die ungerechte Rentenreform der Regierung ablehnt«, stellten sie fest. »Die Masse der Bevölkerung unterstützt den Kampf der Gewerkschaften dagegen, das Rentenalter auf 64 Jahre heraufzusetzen und gleichzeitig die Beitragszahlungsdauer zu verlängern. Neun von zehn arbeitenden Menschen dieses Landes lehnen diese Reformpläne ab und zwei Drittel der Bevölkerung unterstützen die Mobilisierung.« So gut wie niemand lasse sich durch die Propaganda der Regierung verwirren, unterstrichen die Gewerkschaften.
In diesem Zusammenhang protestierten sie dagegen, daß der Minister für den öffentlichen Dienst, Stanislas Guerini, am vergangenen Wochenende allen ihm direkt oder indirekt unterstehenden Beamten und Beschäftigten einen Brief mit den Argumenten der Regierung für die geplante Rentenreform geschickt und dabei mißbräuchlich die seiner Behörde zwangsläufig bekannten privaten Mail-Adressen verwendet hat.
»Nichts rechtfertigt diese ungerechte und brutale Reform«, betonten die Gewerkschaften. »Die Regierung muß der massiven Ablehnung Rechnung tragen und ihre Pläne fallen lassen.«
Die in diesem Kampf zusammengeschlossenen Gewerkschaften rufen die Bevölkerung zu einer noch massiveren Mobilisierung auf und kündigen für Dienstag den 7. und Samstag den 11. Februar die nächsten landesweiten Streik- und Aktionstage an.