Leitartikel30. August 2024

Trümmer der eigenen Politik

von Uli Brockmeyer

Der jüngste Anschlag auf eine Synagoge in Frankreich und der Messerangriff in Solingen haben hektische Betriebsamkeit ausgelöst – und lenken die Aufmerksamkeit wieder einmal in völlig falsche Richtungen. Nicht nur in Frankreich wird erneut die Stimmung geschürt gegen jede Kritik am Angriffskrieg Israels gegen Gaza, obwohl der Angriff auf die Synagoge kaum damit in Zusammenhang zu bringen ist. Er läßt sich aber trefflich ausnutzen, um alle Kritiker des Staates Israel – darunter nicht wenige Menschen jüdischen Glaubens – über einen Kamm zu scheren und als Antisemiten zu verunglimpfen.

An den Reaktionen auf den Angriff in Solingen zeigt sich vor allem die Hilflosigkeit der verantwortlichen Politiker, mit den Folgen ihrer eigenen völlig verfehlten Politik fertig zu werden. Erneut kommen absolut sinnlose Vorschläge auf den Tisch, die weder mit den Folgen des Anschlags noch mit den vermeintlichen Ursachen etwas zu tun haben. Die Versuche, aufgrund der sogenannten Dublin-Regelung, laut der ein Asylbewerber in das Land abgeschoben werden kann, in dem er zum ersten Mal den Boden der EU betreten hat, nun die Frage zu stellen, warum der aus Syrien stammende Attentäter nicht schon längst nach Bulgarien ausgeflogen wurde, ist an politischer Blindheit kaum zu übertreffen. Ist es den Fragestellern wirklich lieber, er hätte Bulgaren angegriffen statt Deutsche?

Ebenso unsinnig sind die Debatten über verstärkte Grenzkontrollen und ein schärferes Vorgehen bei Abschiebungen, sowie auch die Forderungen nach einem Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan. Das ist nur Wasser auf die Mühlen derjenigen, die grundsätzlich eine ausländerfeindliche Politik in ihren Parteiprogrammen und in ihren Köpfen verankert haben. Zudem versuchen jetzt fast alle Parteien, angesichts der Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Punkte zu sammeln.

Die überhebliche Denkweise deutscher Politiker kommt in dem Vorstoß des Finanzministers Lindner zum Ausdruck, finanzielle Leistungen für Flüchtlinge zu streichen oder wenigstens zu kürzen. Die Begründung ist geradezu lächerlich. Er meint, damit würde Deutschland weniger attraktiv für Migranten.

Es fällt auf, daß in der öffentlichen Debatte wieder einmal nicht über die Fluchtursachen gesprochen wird. Es sind nicht die Schleuser, die verantwortlich sind für die Fluchtbewegungen, die machen »nur« – nach den Prinzipien des Kapitalismus – ihr Geschäft mit dem Elend der Menschen. Und die Attraktivität der »wohlhabenden« Länder der EU ist vor allem ein Motiv für Hunderttausende junge Menschen, die in EU-Staaten wie Portugal, Spanien, Griechenland oder Italien keine Perspektive für ihr eigenes Leben sehen.

Der größte Teil der Flüchtlinge, die sich aus Afrika, dem Nahen Osten oder aus Asien auf den gefahrvollen und oft sehr kostspieligen Weg ins »gelobte Land Europa« machen, ist auf der Flucht vor Kriegen und Krisen und der daraus resultierenden Armut und Ausweglosigkeit. Es sind Kriege und Krisen, für die die Europäische Union und deren Mitgliedstaaten, die fast alle auch Mitglied der NATO sind, einen großen Teil der Verantwortung oder Mitverantwortung tragen.

Schlimmer noch: Statt endlich einen Weg einzuschlagen, der nicht der Profitgier von Banken und Konzernen nützt, sondern den Menschen, statt eine wirkliche Kooperation mit anderen Staaten anzustreben, wird die Politik der Konfrontation Tag für Tag weiter verschärft. Und nun sitzt man ratlos auf den Trümmern der eigenen Politik.